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Fehler, Mängel, Wegschauen Darum ist zu viel Pestizid im Bach

Viel Pestizid im Gewässer könnte vermieden werden – doch Bauern, Kantone und die Zulassungsbehörde schauten lange weg.

Dass viele kleine Bäche mit Pestizid belastet sind, ist bekannt. Aufhorchen lassen aber die noch unveröffentlichten Messwerte des Bundesamts für Umwelt von 2019: In 21 von 28 gemessenen kleinen und mittelgrossen Flüssen wurden die Pestizid-Grenzwerte überschritten – bis zu 1000-fach im Fall eines hochgiftigen Pestizids für Bachlebewesen.

Verschmutzungsquelle Bauernhof

Warum ist das so? Erstmals liegen schweizweite Zahlen vor, wie viel Pestizid durch welche Eintragspfade in Gewässer gelangt. Pikant: Ein Grossteil der Giftrückstände in Gewässern stammt nicht vom Feld, sondern vom Bauernhof. Im Durchschnitt sind es schweizweit 40 Prozent. Das hat eine Studie der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Agroscope ergeben, die Ende Januar publiziert wurde.

Verantwortlich dafür sind Bauern, die ihre Spritzen befüllen oder waschen, ohne die Pestizidrückstände aufzufangen – zum Beispiel durch eine Wanne oder durchs Einleiten in den Gülletrog, wo sie stark verdünnt werden und sich danach beim Güllen im Boden abbauen. Das Pestizid verbleibt stattdessen auf dem Hofplatz und wird bei Regen zum nächstgelegenen Schacht geschwemmt und von dort per Leitung in den Bach.

Tote Forelle
Legende: Symbolbild / Keystone

Erst seit 2020 haben die Kantone begonnen, die Befüll- und Waschplätze der Bauern zu kontrollieren. Grundlage ist das Gewässerschutzgesetz von 1992. In Bezug auf die Kontrolle von Pestizideinträgen vom Hofplatz blieb es 28 Jahre lang weitgehend toter Buchstabe.

20'000 tote Forellen

Dabei ist das Thema altbekannt: Schon 2005 sorgte ein Bauer im zürcherischen Andelfingen für Schlagzeilen: Weil er seine Spritze falsch befüllt hatte, geriet ein Pestizid in den Dorfbach, wo es 20'000 junge Regenbogenforellen in einer Fischzucht tötete. Schon damals sprach der damalige Beratungsleiter der kantonalen Landwirtschaftsschule Strickhof in der Lokalzeitung von einer «fahrlässigen Manipulation» des Bauern. Und: Die korrekte Entwässerung des Hofplatzes sei «seit Jahren» Thema in der Aus- und Weiterbildung der Bauern.

Fehlende Kontrolle durch die Kantone

2013 publizierten die Bundesbehörden eine Vollzugshilfe: Darin wurde den Kantonen erklärt, worauf bei der Kontrolle des Befüllens und Reinigens der Spritzen zu achten ist.

Daniel Habegger von der Firma Agricon.
Legende: Daniel Habegger von der Firma Agricon. SRF

Warum ist sieben Jahre lang nichts passiert? «Es braucht enorm Energie, bis das Ganze ins Rollen kommt», sagt Daniel Habegger von der Firma Agricon, die im Auftrag des Kantons Aargau Waschplätze kontrolliert. Letztes Jahr aber hat der Aargauer Regierungsrat die «Aktion Schachtdeckel» initiiert: Offene Gullydeckel werden durch geschlossene ersetzt, wenn sie nicht zur Entwässerung dienen.

Die unbekannte Verschmutzungsquelle

Pestizideinträge durch Schächte – ein viel grösseres Problem für Bachlebewesen als bisher angenommen: Über eine Million Schächte liegen schätzungsweise auf landwirtschaftlich genutzten Feldern oder auf Strassen am Rande der Felder. Das brachte die Dissertation von Eawag-Forscher Urs Schönenberger ans Licht, welche Ende 2021 publiziert wurde.

Seine Arbeit wurde vom Aktionsplan Pflanzenschutzmittel finanziert. Rund 22 Prozent der Pestizidmenge im Bach wird durch Schächte eingetragen. Ähnlich bedeutend sind Abschwemmungen, bei denen Pestizidrückstände, wenn es regnet, vom Feld direkt in den Bach gespült werden – auch dieser Pfad ist für 22 Prozent des Pestizideintrags in Bäche verantwortlich.

Nachholbedarf bei Schächten

Für den Eintragspfad «Abschwemmung» aber verfügt der Bund Vorschriften: Der Bauer muss beim Spritzen Abstand zum Gewässer einhalten. Die von Agroscope berechnete Eintragsmenge wird so reduziert. Je giftiger das Pestizid für Bachlebewesen, desto grösser der verordnete Abstand zum Gewässer. 

Bei Schächten aber gilt das nicht. Noch gibt es keine Auflagen, ihr Risiko wird auch nicht bei der Zulassung berücksichtigt. Eawag-Forscher Schönenberger sagt: «Das ist ein Problem, das man angehen muss.» Aufgrund von Schönenbergers Resultaten schlägt der Bundesrat nun Massnahmen wie Abstände zu Schächten beim Spritzen vor.

Entwässerungsrohre: Der Bund schaut weg

Ein weiterer Eintragspfad für Pestizide in Bäche sind die Entwässerungsrohre, die unter den Feldern liegen, sogenannte Drainagen. 10vor10-Recherchen zeigen: Der Bund berechnet das Risiko für Wasserorganismen durch Pestizideinträge von Drainagen seit 20 Jahren. Nur: Bei der Zulassung von Pestiziden berücksichtigt er die Ergebnisse nicht. Auch hier: Keine Auflagen für die Bauern, wenn sie auf drainierten Flächen spritzen. Warum nicht?

«Die Tatsache, dass 20 Jahre lang mit einem Modell Berechnungen durchgeführt werden», so schreibt das Bundesamt für Umwelt, heisse nicht, «dass es verlässliche Angaben fürs Risikomanagement liefert». Aus «Ressourcengründen» habe man sich vor 20 Jahren für ein Modell aus Deutschland entschieden, das die dortigen Verhältnisse abbildet. Jetzt aber sei man daran, diesen Eintragspfad genauer abzuklären.

Spritzverbot auf drainierten Flächen?

Drainagen sind gemäss Agroscope für rund 11 Prozent der Pestizidmenge im Bach verantwortlich. Ihre Regulierung ist schwierig. Deutschland verbietet den Einsatz von riskanten Pestiziden auf drainierten Flächen. Ein Spritzverbot also, und das seit rund 20 Jahren. Warum macht das die Schweiz nicht? Das BAFU schreibt: «Die Lage der drainierten Flächen war lange schlecht bekannt. Deshalb war die Umsetzung dieser Auflage bisher nicht praktikabel.»

Diese Aussage steht im Widerspruch zu einem internen Protokoll des Bundesamts für Landwirtschaft von November 2020, das 10vor10 vorliegt. Dort steht: «Es ist plus/minus bekannt, wo Drainagen vorhanden sind». Und: «Mit Modellanpassungen wäre ein Management möglich.» Will heissen: Mit Modellanpassungen könnten Auflagen verfügt werden.

Internes Protokoll der Bundesämter
Legende: Bundesamt für Landwirtschaft BLW

Als «effizienteste Reduktionsmöglichkeit» wurde damals ein «angepasster Applikationszeitpunkt» von Pestiziden genannt. Das heisst: Nicht spritzen, wenn Regen droht. In der Praxis aber lässt sich das kaum umsetzen.

Umweltschutzorganisationen vermuten, dass der Bund Drainagen nicht reguliert, weil er befürchtet, den Einsatz vieler Pestizide verbieten zu müssen. In Deutschland betrifft das Spritzverbot übrigens nur 2.6 Prozent aller Pestizidprodukte – bei rund 13 Prozent drainierter Ackerfläche. Die Schweiz hat rund 30 Prozent drainierte Ackerfläche.

 

 

10vor10; 06.04.2022; 21:50 Uhr

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