Die Schweiz debattiert Corona. Die Fallzahlen steigen, der Platz auf den Intensivstationen wird knapper. Aus gesundheitlicher Sicht ist klar: Die Pandemie muss rasch gestoppt werden. Doch können wir uns das leisten? Wirtschaftsprofessorin Dina Pomeranz der Universität Zürich erklärt, welche Massnahmen wenig kosten und viel nützen.
SRF: Gibt es einen Zielkonflikt zwischen Gesundheit und Wirtschaft?
Dina Pomeranz: Grundsätzlich ist das Schlimmste für die Wirtschaft eine ausufernde Pandemie. Es gibt deshalb auf der Makroebene eigentlich keinen Zielkonflikt, denn um die Wirtschaft zu schützen, müssen wir die Leute vor der Pandemie schützen.
Wenn man also die Leute vor der Pandemie schützt, dann schützt man indirekt auch die Wirtschaft. Welche Massnahmen braucht es denn, damit die Wirtschaft nicht darunter leidet?
Sehr wichtig ist, dass Massnahmen, die wir ergreifen, möglichst so ausgestaltet sind, dass einerseits der Nutzen gegen die Pandemie maximal gross ist, andererseits der Schaden für die Wirtschaft maximal klein. Massnahmen mit grossem Nutzen und kleinen Kosten sind zum Beispiel gutes und genügendes Testen, Maskentragen für alle und Contact Tracing. Zudem ganz gezielt die Art von Aktivitäten einschränken, die speziell gefährlich sind, etwa Chöre in Innenräumen. Da ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis enorm hoch.
Aber es gibt auch Massnahmen, welche die Wirtschaft viel kosten?
Genau. Es gibt Massnahmen, die kosten viel und nützen wenig. Aktuell ist da etwa die Diskussion über die Quarantäne nach der Einreise aus Ländern mit ähnlich hohen oder sogar tieferen Ansteckungszahlen wie die Schweiz. Das kostet für die Wirtschaft sehr viel, weil Leute bei der Arbeit wegfallen und so weiter. Und der Nutzen ist sehr fraglich. Wir müssen sehr gezielte Massnahmen haben, die wirklich die Pandemie direkt angehen und möglichst wenig Schaden hervorrufen. Es gilt also, die richtigen, ausgewogenen Massnahmen zu treffen.
Könnte auch ein Lockdown eine solche Massnahme sein?
Wenn wir es nicht rechtzeitig in den Griff bekommen – und im Moment sieht es sehr gefährlich aus – dann kann es sein, dass wir in eine Lage kommen, in der das die einzige Massnahme ist, die noch Kosten-Nutzen effizient ist. Aber wenn wir früh andere Massnahmen haben, die gezielter sind, muss es nicht dazu kommen. Deshalb ist es aktuell so wichtig, dass wir alles daran setzen, zu verhindern, dass es wieder so schlimm kommt.
Der wirtschaftliche Schaden mit oder ohne Lockdown (...) ist sehr ähnlich. Aber ohne Lockdown sind die Erkrankungen viel schlimmer.
Sie sagen ja, die Wirtschaft leide, auch wenn man jetzt keine Massnahmen ergreifen würde. Wie stark würde sich denn eine solche Lähmung auswirken?
Es gibt dazu spannende Studien aus den USA und auch aus den nordischen Ländern, in denen man Nachbarstaaten vergleicht, die verschiedene Reaktionen auf die Pandemie hatten – mit strikterem oder weniger striktem Lockdown. Was man sieht: Der wirtschaftliche Schaden ist fast gleich gross, auch ohne Lockdown. Denn wenn viele krank sind, haben die Leute Angst und gehen nicht mehr einkaufen. Und wenn sie Einkommen verlieren, können sie auch nicht mehr einkaufen. Der wirtschaftliche Schaden mit oder ohne Lockdown ist in diesen Nachbarstaaten sehr ähnlich – aber ohne Lockdown sind die Erkrankungen viel schlimmer.
Trotzdem sagen Unternehmerinnen und Unternehmer, man müsste auch die Eigenverantwortung des Einzelnen berücksichtigen. Macht denn Eigenverantwortung aus wirtschaftstheoretischer Sicht überhaupt Sinn?
Ersteinmal finde ich es sehr wichtig zu betonen, dass es ja nicht alle Unternehmerinnen und Unternehmer sind, die das fordern, sondern gewisse Stimmen, die jetzt sehr laut sind. Andere sind auch froh, wenn wir Sicherheit haben, damit ihr Business weiter gehen kann und ihre Arbeitnehmenden geschützt sind. Eigenverantwortung ist gut und wichtig. Wir müssen jetzt alle unseren persönlichen Beitrag leisten. Aber in der Situation, in der wir uns momentan befinden, reicht das nicht. Denn es handelt sich hier um eine sogenannte Externalität. Also eine Situation, in der eine Handlung von mir einen Effekt hat. Positiv oder negativ. In diesem Fall negativ auf andere Menschen. Das heisst, wenn ich nur für mich Verantwortung übernehme, ist das ungenügend.
Bei Alkohol am Steuer sagen wir auch nicht einfach, jeder soll Eigenverantwortung übernehmen.
Ein gutes Beispiel ist zum Beispiel Alkohol am Steuer. Hier sagen wir auch nicht einfach, jeder soll Eigenverantwortung übernehmen. Klar, Eigenverantwortung ist auch wichtig. Aber dazu haben wir halt auch Regulierungen, die festlegen mit wie viel Alkohol man fahren darf. Sonst wird gebüsst, weil wir andere Leute schützen müssen vor dieser Externalität.
Wenn ich keine Maske anziehe, dann ist das gefährlich für mich, aber vor allem auch für meine Mitmenschen, weil ich diese eventuell ohne es zu merken anstecke.
Beim Virus ist das genau dasselbe: Wenn ich keine Maske anziehe, dann ist das gefährlich für mich, aber vor allem auch für meine Mitmenschen, weil ich diese eventuell ohne es zu merken anstecke. Und dadurch verbreitet sich das Virus mehr.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.