Es ist morgen, als sich die Archäologin Regula Gubler und die Grabungstechnikerin Kathrin Glauser vom Archäologischen Dienst Bern von der Lötschenbach-Hütte aus auf den Weg machen. Hier haben sie vor fünf Jahren ihren ersten Fund gemacht, Jetzt endlich können sie nachschauen, ob sie vielleicht noch mehr von dem Jäger finden, der auf dem Lötschenpass vor 4000 Jahren seine hölzerne Proviant-Box liegen gelassen hat.
«Ich glaube, dieser Person ist etwas passiert»
Damals, 2011, haben die beiden mehrere Fragmente eines Pfeilbogens gefunden. Auch jetzt stossen sie genau an dieser Stelle auch ein weiteres Holzstück. Schnell ist klar: Auch das ist ein weiteres Teil des Pfeilbogens.
«Es ist einfach etwas sehr Spezielles und Einmaliges, wenn man etwas halten kann, dass vor 4000 Jahren bereits jemand anderes in der Hand hielt», sagt Grabungstechnikerin Kathrin Glauser. Wo aber ist der Mensch, der diesen Pfeilbogen hat liegen lassen?
«Ich habe schon das Gefühl, dass mit dieser Person etwas passiert ist», sagt Archäologin Regula Gubler. Man lasse sonst ja nicht den gesamten Proviant, Bogen und Pfeile einfach in den Bergen liegen. Entweder sei er von einem Unwetter oder vom Nebel überrascht worden, mutmasst auch Glauser. Vielleicht sei er auch körperlich nicht mehr fit gewesen. Sie denke aber nicht, dass er wie Ötzi umgebracht worden sei. «Vielleicht liegt er noch da oben, unter den Steinen», sagt Gubler. Oder seine Angehörigen hätten ihn nach Hause geholt.
Ikea aus der Vorbronze-Zeit
Auch dieses Mal, im Sommer 2017, stossen die beiden Spezialistinnen auf weitere persönliche Gegenstände des Jägers vom Lötschenpass. Lederriemen und Schnüre etwa.
Vor fünf Jahren haben die beiden ein Holzgefäss gefunden, dass noch Mehlreste aufwies, wie Analysen des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern zeigte. Es ist also eine Art Proviantbox.
Besonders verblüffend: Genau so ein Gefäss haben Archäologen auf dem Schnidejoch vor zwei Jahren gefunden. Es sind die einzigen zwei Gefässe ihrer Art, die bisher weltweit gefunden worden sind. Die beiden gelichen sich bis auf das kleinste Detail, wie Werner Schoch, einer der renommiertesten Spezialisten für historische Hölzer sagt.
«Die Übereinstimmung ist bis in jedes Detail so gross, dass ich eigentlich überzeugt bin, dass es derselbe Mensch war, der beide hergestellt hat», sagt Schoch. Wenn man so wolle, könnte man sagen, es sei eine Berner Oberländer Ikea aus der Vorbronze-Zeit. Es scheint also, als habe ein Schweizer Handwerker serienmässig eine Art bronzezeitliches Tupperware für alpenquerende Wandervögel hergestellt, in einer Zeit als die Pyramiden in Ägypten noch gar nicht gebaut worden waren.
Der Lötschi bleibt verschollen
Auf dem Lötschenpass kommt Nebel auf. Doch die zwei Frauen geben noch nicht auf. Es lohnt sich: sie finden einen Art Umhang aus Lindenbast. Ein solcher Regenschutz hatte auch Ötzi bei sich. Zuerst sind sich die Archäologie-Profis nicht ganz sicher, dann aber finden sie ein Lederriemchen im Lindenbast-Geflecht. Ein weiteres Stück der Ausrüstung, dieses Mal ein Kleidungsstück.
Den Jäger, dem die Gegenstände vor 4000 Jahren wohl gehörten, den haben die beiden aber auch diese Saison nicht gefunden. Gut möglich also, dass der Lötschi für immer verschollen bleibt.