Er hetzt, Politiker seien öffentlich hinzurichten. Er schreibt Mordaufrufe und verschickt sie im Internet: «Der Hals von dem Arschloch wird am Galgen noch viel länger sein als der des Vogel Strauss.» Die Nachricht richtet sich gegen Gesundheitsminister Alain Berset. Der Verfasser verbreitet sie auf der Plattform Telegram. Tausende lesen sie.
Tausende Gewaltaufrufe
Telegram ist eine Chatplattform. Unter Corona-Massnahmengegnern ist sie besonders beliebt. In unterschiedlichen Gruppenchats organisieren sie Demonstrationen und tauschen Meinungen aus. Doch hier tummelt sich auch eine radikale Minderheit: sie verbreitet Hass, ruft zu Gewalt auf, droht.
SRF Data hat über 90 Gruppenchats analysiert und dabei tausende Gewaltaufrufe gefunden . Manche richten sich gegen PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen, manche sind ganz allgemein. Die «Rundschau» hat Telegram-Nutzer ausfindig gemacht, die solche Hassnachrichten verfassen.
«Ich rufe nicht zu Gewalt auf»
Hinter einem Mordaufruf gegen Berset steckt ein Mann aus dem Mittelland. Er betreibt eine eigene Chatgruppe, verschickt dort täglich dutzende Nachrichten, Verschwörungstheorien und Hass. Die «Rundschau» sucht ihn zuhause auf. Der Mann bestreitet an der Haustür, je zu Gewalt aufgerufen zu haben. Als die «Rundschau» ihm die Drohung gegen Berset zeigt, verschwindet er in seiner Wohnung. Im Nachhinein bestreitet der Mann die Vorwürfe. Mehrere zeitnahe Terminvorschläge für ein Interview lehnt er jedoch ab.
In einem anderen Chat der Massnahmengegner rufen Nutzer zur Vergewaltigung von Gegendemonstrantinnen auf und schreiben über Bundesrat Berset: «Er wird hängen.» Die «Rundschau» konfrontiert den Betreiber des Gruppenchats. Er erklärt, die Antifa-Bewegung habe den Aufruf geschrieben und verbreitet, um dem Image seines Chats zu schaden. Beweisen kann er diese Behauptung nicht.
Sechsmal mehr Drohungen als vor der Pandemie
Richtet sich eine Drohung gegen eine Bundesrätin oder einen Parlamentarier, ermittelt die Bundespolizei, Fedpol. Im letzten Jahr wurden ihr 1215 Drohungen gemeldet. In 120 Fällen waren die Drohungen so konkret, dass das Fedpol ein Strafverfahren einleitete oder den Gefährder verwarnte. Sechsmal häufiger als vor der Pandemie 2019!
Die Masse an Drohungen im Netz macht den Behörden zu schaffen. «Es sind tagtäglich tausende von Posts, die veröffentlicht werden», sagt Stéphane Theimer, Leiter Bundessicherheitsdienst beim Fedpol zur «Rundschau». Daraus müssten sie die Gewaltaufrufe erst erkennen und analysieren. Theimer: «Erst dann können wir mit der Identifizierung starten.»
Reporterin wird zur Zielscheibe
Hinzu kommt, dass Telegram-Nutzer die Gewaltaufrufe häufig unter Pseudonymen veröffentlichen. Um sie zu identifizieren, wäre die Polizei auf die Kooperation von Telegram angewiesen. Doch die Plattform gibt von sich aus keine Nutzerdaten an Behörden weiter. Die Folge: Hass und Hetze werden ungefiltert verbreitet, die Personen dahinter selten bestraft.
Während der Recherche auf Telegram hat die «Rundschau» mehrere dieser anonymen Droher im Chat um eine Stellungnahme gebeten. Daraufhin drehen sie den Spiess um und teilen den Nutzernamen der zuständigen Reporterin in sämtlichen Massnahmengegner-Chats, dazu Kontaktangaben und falsche persönliche Informationen. Zu ihren Drohungen aber wollte keiner von ihnen Stellung nehmen.