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Hilfe für Härtefälle Notleidende Reisebranche ringt um Staatshilfe

Während Bund und Kantone eine Härtefall-Regelung erarbeiten wollen, fordert besonders die Reisebranche möglichst schnell Klarheit über weitere Finanzhilfen.

Wegen der Corona-Pandemie stehen ganze Branchen vor existenziellen Problemen, darunter Fluggesellschaften, Stadthotels, Messeveranstalter und Reisebüros. Ihnen ist das Geschäft praktisch weggebrochen. Der Ruf nach staatlicher Unterstützung wurde laut – mit Erfolg: Derzeit klären Bund und Kantone, wie sie in Härtefällen Firmen helfen können.

Was gilt als «Härtefall»?

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Im Covid-19-Gesetz, das Ende September vom Parlament verabschiedet wurde, ist vorgesehen, dass Bund und Kantone «in Härtefällen» gemeinsam Unternehmen finanziell unterstützen können. Das gilt für Unternehmen, die besonders hart von den Folgen der Pandemie getroffen worden sind.

Namentlich erwähnt werden im Gesetz die Eventbranche, die Schausteller, Dienstleister der Reisebranche sowie touristische Betriebe. Ein Härtefall liegt vor, wenn der Jahresumsatz unter 60 Prozent des Durchschnitts der Vorjahre liegt.

Einer, der in Bern für Hilfe für seine Branche weibelt, ist André Lüthi. Der Präsident und Chef des Reisekonzerns Globetrotter sowie Politik-Verantwortliche beim Schweizer Reiseverband zeichnet für die Reisebüros ein düsteres Bild. «Im Moment haben wir eigentlich gar keine Perspektive. Wir wissen, dass 2020 die Umsätze sicher um 85 Prozent einbrechen werden. Und die Unsicherheit ist extrem gross», sagt Lüthi.

Er geht davon aus, dass 2000 bis 3000 Arbeitsplätze der Branche auf dem Spiel stehen – sollte die Krise anhalten. Das wäre etwa jeder dritte Arbeitsplatz bei den Reisebüros in der Schweiz.

Entsprechend wichtig sei nun Unterstützung vom Staat, betont der Globetrotter-Chef. Diese soll bekommen, wer vor Corona gesund war – zusätzlich zu den bisherigen Hilfsmassnahmen wie Kurzarbeitsentschädigung oder Notkredite. So schwebt es Lüthi für seine Branche, aber auch für andere Branchen vor, die besonders hart von der Krise getroffen wurden.

So unterstützt der Bund Unternehmen bereits

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Der Bund hilft notleidenden Unternehmen bereits heute tatkräftig. So finanziert die öffentliche Hand beispielsweise bei der Kurzarbeitsentschädigung einen Teil des Lohns von Angestellten, die auf Kurzarbeit gesetzt sind. Und bei den Covid-19-Krediten bürgt der Bund für den Grossteil der gewährten Beträge.

Jan-Egbert Sturm, Leiter der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich, winkt ab: «Durch die strukturelle Veränderung, die die Gesellschaft durchmacht, wird es für viele Unternehmen schwierig bleiben, in der Zukunft weiterzumachen.» Es gelte hinzuschauen, welche Unternehmen nach Corona tatsächlich eine Zukunft hätten und diese zukunftsträchtigen Unternehmen herauszufiltern. Doch das sei enorm schwierig.

Sollen notleidende Branchen Kredite zurückzahlen?

Niemand weiss, wie Corona das Reiseverhalten verändern wird: Wie rasch Privatpersonen beispielsweise wieder scharenweise zu Städtetrips und Fernreisen aufbrechen oder ob Grosskonzerne ihre virtuellen Sitzungen wieder durch Geschäftsreisen ersetzen werden.

Bund und Kantone versuchen dennoch in einer Arbeitsgruppe zu klären, wie eine Härtefall-Regelung aussehen könnte: Sie versuchen also zu definieren, welche Unternehmen vom Staat am Leben erhalten werden sollen – und welche nicht. Bleibt die Frage, ob Unternehmen aus «Härtefall-Branchen» – also Reisebüros, Eventveranstalter, Messebauer oder Stadthotels – die Hilfsgelder, zurückzahlen müssen oder nicht.

Es wird für die Kleinen sehr schwierig, diese Kredite zurückzuzahlen.
Autor: André Lüthi CEO von Globetrotter

Globetrotter-Chef André Lüthi, dessen Branche das Wasser buchstäblich bis zum Hals steht, ist skeptisch. Er verweist darauf, dass Reisebüros selbst in guten Zeiten nur wenig verdienen mit ihrem Geschäft. «Bei einer durchschnittlichen EBIT-Marge von 1 Prozent in der Schweizer Reisebranche – und da spreche ich von allen – wird es einfach für die Kleinen sehr schwierig, diese Kredite zurückzuzahlen.»

Lühti fordert vielmehr Beiträge à fonds perdu. Er wünscht sich für alle «Härtefall-Branchen» möglichst noch in diesem Jahr Klarheit über weitere Finanzhilfen. Sonst komme für zahlreiche Unternehmen in der Schweiz die Hilfe wohl zu spät.

Andre Lüthi sitzt in seinem Büro auf dem Fenstersims und blickt in die Kamera.
Legende: Globetrotter-CEO André Lüthi geht davon aus, dass jeder dritte Arbeitsplatz bei den Schweizer Reisebüros potenziell gefährdet ist. Keystone

Echo der Zeit, 12.10.2020, 18:00 Uhr ; 

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