Der Luchs soll vorläufig geschützt bleiben. Das hat der Nationalrat diese Woche bei der Beratung des Jagdgesetzes beschlossen. Nicht so Wolf und Biber: Sie sollen künftig einfacher zum Abschuss freigegeben werden können. Kann der Luchs also aufatmen? Nicht ganz. Um die hiesigen Luchspopulationen stehe es schlecht, meinen Biologen.
Einer von ihnen ist Fridolin Zimmermann. Er späht mit dem Feldstecher in den dichten Blätterwald. Doch den Luchs erblickt er nirgendwo, auch nicht im Luchsgehege des Tierparks Dählhölzli in Bern: «Der Luchs ist das Gespenst unserer Wälder.»
Der unsichtbare Luchs im Tierpark stammt aus den Karpaten. Er gehört zu jener Unterart, die in den siebziger und achtziger Jahren in der Schweiz wieder angesiedelt wurde.
«Von Autos überfahren»
Wie viele Luchse heute in der Schweiz leben, weiss Zimmermann. Er koordiniert das Monitoring der Grossraubtiere, die die Wildtierstiftung KORA im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt durchführt. Die letzte Schätzung stammt aus dem Jahr 2017: «Wir haben 230 selbstständige Luchse gezählt, also solche, die älter als ein Jahr sind. 60 im Jura und 170 in den Alpen.»
Die Zahl der Luchse im Jura sei stabil, jene in den Alpen nehme zu. Die verschiedenen Luchspopulationen sind weitgehend voneinander isoliert, da sie das dichtbefahrene und besiedelte Mittelland praktisch nicht überqueren können. Die Alpenpopulation breite sich kaum aus, erklärt der Biologe, weil sich Luchse gerne an ihr angestammtes Revier hielten. Aber auch weil sie durch den Menschen gefährdet würden: «Luchse werden von Autos überfahren oder illegal getötet.»
Obwohl die Zahl der Raubtiere ansteigt, steht es nicht gut um sie. Die hiesigen Luchspopulationen erleiden einen schleichenden Niedergang. Biologin Christine Breitenmoser von der Stiftung KORA forscht über die genetische Vielfalt der Luchse. Sie stellt fest, dass diese in der Schweiz abnimmt. Das bedeute: «Es kommt zu mehr Inzucht, die Populationen werden anfälliger für Krankheiten oder es können sich Missbildungen entwickeln, die sich weitervererben.»
Besonders kritisch ist die Misere der Alpen-Luchspopulation. Ihre genetische Vielfalt ist heute nur noch halb so gross wie jene der ursprünglichen Tiere aus den Karpaten. Das gefährdet mittel- bis langfristig das Überleben des Luchses.
Austausch zwischen den Populationen
Es brauche eine Blutauffrischung – entweder, indem man Tiere aus den verschiedenen Populationen in der Schweiz miteinander austausche. Oder, indem man neue Karpatenluchse aussetze. Wie der Luchs, der hier, immer noch unsichtbar, im Gehege des Berner Tierparkes lebt? Nicht ganz, sagt Breitenmoser: «Nicht im Zoo geborene, sondern solche aus den Karpaten.»
Aber zurzeit sind keine solchen Massnahmen geplant. Wird nichts unternommen, so droht das Gespenst der Schweizer Wälder ganz zu verschwinden.