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Juncker bei Leuthard.
Legende: «Positive Dynamik»: EU-Kommissionspräsident Juncker bei Bundespräsidentin Leuthard am 23. November. Keystone/Archiv

Kohäsionsmilliarde – Ja bitte! Wie die EU die Schweiz düpierte

Die EU-Kommission hat Bern gleich mehrfach mit Zusicherungen zur Börsenfrage genarrt. Das zeigen Recherchen von Radio SRF.

Das Wichtigste in Kürze

  • Als EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am 23. November in Bern zu Besuch war, sagte der Bundesrat zu, 1,3 Milliarden Franken als neuen Kohäsionsbeitrag zu sprechen.
  • Wie nun Recherchen von Radio SRF zeigen, hat der Bundesrat vom Gast aus Brüssel als Gegenleistung eigentlich mehr erwartet, als dieser in die Schweiz mitbrachte.
  • Und nach dem hochkarätigen Treffen hat die EU-Kommission die Schweiz gleich weiter düpiert.

Eine «positive Dynamik» in den Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU verkündete Bundespräsidentin Doris Leuthard, als sie am 23. November nach ihrem Treffen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor die Medien trat. «Wir sind zufrieden mit dem Erreichten», sagte sie. Sie habe deshalb EU-Kommissionspräsident Juncker über den Entscheid des Bundesrates informiert, die Weichen für einen neuen Kohäsionsbeitrag in der Höhe von 1,3 Milliarden Franken zu stellen.

Doch im dringlichsten Geschäft für die Schweiz hat der Bundesrat die Zusage des Gastes aus Brüssel gar nicht erhalten, die ihm eigentlich in Aussicht gestellt worden war. Es geht um die Regulierung der Schweizer Börsen. Erklärt die EU-Kommission diese bis Ende Jahr nicht als gleichwertig mit derjenigen der EU, dürfen ab 3. Januar an der Schweizer Börse keine Aktien mehr gehandelt werden, die sowohl in der Schweiz als auch in der EU kotiert sind.

Bundesrat rechnete mit Zusicherungen zur Börsenregulierung

Als der Bundesrat am 15. November – eine Woche vor dem Juncker-Besuch - seine Strategie für das hochkarätige Treffen festlegte, lag ihm ein Aussprachepapier des Aussendepartementes EDA vom Vortag vor. Darin hiess es, der EU-Kommissionspräsident werde bezüglich der Börsenregulierung «Zusicherungen» gegenüber Bundespräsidentin Leuthard abgeben, wie mehrere Quellen gegenüber Radio SRF bestätigen.

In Brüssel zirkulierte in jenen Tagen bereits der fixfertige Entwurf des positiven Entscheids. Die Landesregierung gab deshalb in ihrer Sitzung vom 15. November grünes Licht für die 1,3 Milliarden an die EU und legte am selben Tag «die Eckwerte» für den Kohäsionsbeitrag fest, wie Bundesratssprecher André Simonazzi auf Anfrage von Radio SRF bestätigt. Informiert worden ist die Schweizer Öffentlichkeit darüber nicht.

Aus der «Zusicherung» wird ein Verhandlungstermin

Als EU-Kommisionspräsident Juncker eine Woche später gegenüber Bundespräsidentin Leuthard von der «Zusicherung» für die Schweizer Börse nichts wissen wollte, traf dieser Rückzieher den Bundesrat offensichtlich unerwartet. Eine vorbereitete und versehentlich bereits an die Medien verteilte Mitteilung musste wenige Minuten vor dem Auftritt Junckers wieder eingesammelt werden. Das Wort «Zusicherung» wurde aus der Mitteilung entfernt. In der korrigierten Version hiess es dann nur noch: Juncker habe die Bundespräsidentin darüber informiert, die EU-Kommission werde das Börsen-Thema Anfang Dezember «behandeln».

Die Worte von Finanzminister Maurer in neuem Licht

Juncker reiste mit der 1,3-Milliardenzusage nach Brüssel zurück, ohne der Schweizer Börse die dringend benötigte Gewissheit gegeben zu haben. Rückblickend erklärt sich nun auch, weshalb Finanzminister Ueli Maurer wenige Tage danach gegenüber Radio SRF über das Resultat des Treffens Juncker-Leuthard im Finanzmarktbereich meinte: «Das genügt nicht. Das ist das, was wir eigentlich bisher bereits hatten.»

Noch am gleichen Tag änderte der Bundesrat seine Kommunikationsstrategie. Regierungssprecher Simonazzi stellte gegenüber Radio SRF erstmals eine Verknüpfung zwischen der Kohäsionsmilliarde und der Anerkennung der Schweizer Börsen her, der sogenannten Äquivalenz: «Wenn diese Äquivalenz nicht gegeben würde, wäre das für die Schweiz eine Diskriminierung. Da würde der Bundesrat wieder beraten und der Prozess zur Kohäsionsmilliarde würde damit sicher nicht vereinfacht.»

Die enttäuschte Hoffnung der Bundespräsidentin

Dies unterstrich tags darauf, am 6. Dezember, auch Bundespräsidentin Leuthard im SRF-Interview: «Selbstverständlich wollen wir diese Äquivalenz. Sie ist morgen in Brüssel traktandiert.» Sie gehe davon aus, dass die EU-Kommission am diesem 7. Dezember grünes Licht erteilen werde, gab sich Leuthard damals noch zuversichtlich.

Doch am 7. Dezember geschah rein gar nichts. Dies, obschon Juncker den Entscheid für diesen Tag gegenüber Doris Leuthard im Rahmen ihres Berner Treffens ausdrücklich versprochen hatte, wie Bundesratssprecher Simonazzi gegenüber Radio SRF schriftlich beteuert: «An diesem Gespräch wurde dieses präzise Datum seitens der EU genannt.» Der EU-Kommissionspräsident hatte die Schweiz damit ein zweites Mal düpiert. Von einem «Affront Brüssels» ist im Bundeshaus die Rede. Von einem «unwürdigen Katz-und-Maus-Spiel der EU».

Und wieder keine Zeit für das Traktandum Schweiz

Ein dritter Tiefschlag folgte dann vorgestern: Die EU-Kommission teilte mit, sie habe die Börsenregulierung von Hongkong, Australien und der USA als gleichwertig anerkannt. Für die Behandlung des Traktandums Schweiz fehlte einmal mehr die Zeit.

Nun bleibt noch ein einziger Sitzungstermin der EU-Kommission vor Ende Jahr, am 20. Dezember. Die Geduld von Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann mit der EU ist mittlerweile am Ende. In der letzten «Samstagsrundschau» von Radio SRF hat er ultimativ festgehalten: «Von den Europäern erwarten wir am 20. Dezember, dass sie die Äquivalenz im Finanzsystem akzeptieren. Das ist eine Conditio sine qua non.»

«Positive Dynamik» dringend erwünscht

Damit sind am nächsten Mittwoch alle Augen nach Brüssel gerichtet. Bleibt die Anerkennung der Schweizer Börse aus, wird der Bundesrat den Kohäsionsbeitrag von 1,3 Milliarden nicht mehr ohne Gesichtsverlust sprechen können. Und die «positive Dynamik» zwischen der Schweiz und der EU hätte sich definitiv ins Gegenteil verkehrt.

Schweiz fühlt sich von EU-Kommission düpiert

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