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Kontroverse um Locher Reformierten-Präsident im Gegenwind

Gottfried Locher, der bekannteste Reformierte der Schweiz, gerät unter Druck. Kurz vor seiner Wiederwahl im Juni ist er heftiger, interner Kritik ausgesetzt.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Gottfried Locher soll im Juni in seinem Amt als Präsident des Evangelischen Kirchenbundes bestätigt werden.
  • Doch an der Basis wirft man ihm Machtgelüste vor.
  • Kirchenvertreter fordern: Locher muss Aussagen zum Thema Sexualität aus der Vergangenheit klarstellen.
  • Pfarrerinnen fordern: Locher muss ein klares Bekenntnis zu Geschlechtergerechtigkeit abgeben.

Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund SEK steht vor der grössten Verfassungsänderung seit 100 Jahren. Die Reformierten sollen nicht länger in einem losen Verbund von Kantonalkirchen organisiert sein, sondern eine nationale Kirche werden mit dem Namen «Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz». Diese Veränderung ist kaum umstritten. Zankapfel aber ist die Frage, wer die geistliche, also die religiöse Leitung dieser Kirche haben wird.

Gottfried Locher propagiert eine starke personelle Leitung der neuen, nationalen Kirche. Vor einigen Jahren hat er gar mit der Idee eines reformierten Bischofs für Aufsehen gesorgt. Im Interview mit der Rundschau sagt Locher, er erachte es als wichtig, dass die Kirche Leute habe, «die hinstehen, der Kirche ein Gesicht geben und gegen aussen repräsentieren können. Ohne das können wir die Leute nicht erreichen. Darum geht es bei diesem Präsidentenamt.»

Mit der Idee einer starken personellen Leitung der Kirche ist Locher nicht allein. So sagt beispielsweise Lukas Kundert, Kirchenratspräsident der evangelischen Kirche Basel-Stadt, dass man im Idealfall einen nationalen Pfarrer hat: «Jemanden, der auf nationaler Ebene predigt. Und Predigen ist ein geistliches Leiten.»

Zankapfel geistliche Leitung

Gegen die Idee eines nationalen Pfarrers gibt es heftigen Widerstand. An der Abgeordnetenversammlung vom April entschieden die Delegierten der Kantonalkirchen, dass die geistliche Leitung nicht allein beim Präsidenten sein darf. Andreas Thöny, Kirchenratspräsident Graubünden, hat sich dezidiert dagegen gewehrt.

«Wenn wir nun wieder jemanden vorne hinstellen, der sagt was Sache ist, ist das nicht reformiert». Die Reformation basiere eben gerade auf einem Befreiungsschlag der Leute. Sie seien bestimmt worden vom Adel und vom Klerus, also von Kirche und von hohen weltlichen Fürsten. Davon habe man sich befreit.

Dies sieht auch der Vertreter des grössten kantonalen Kirchenbundes, Bern Jura Solothurn, Andreas Zeller so: «Ich verstehe nicht, dass wir jetzt, wo wir 500 Jahre Reformation feiern, wieder verklerikalisieren wollen.»

Die Kritiker waren schliesslich in der Mehrheit. Sie beschlossen an ihrer Versammlung im April, dass der Präsident in der neuen Verfassung zwar geistlich leiten darf, dass er aber diese Leitung mit Rat und Synode teilen muss.

Trotzdem: Der Präsident, welcher heute Gottfried Locher ist, wird mit der neuen Verfassung Teil der geistlichen Leitung der reformierten Kirche und das stört an der Basis einige.

Locher zu katholisch

Dorn im Auge vieler Reformierter ist der öffentliche Auftritt von Gottfried Locher. Locher predigt oftmals mit einem grossen, silbernen Kreuz um den Hals geschmückt, ganz in der Art katholischer Würdenträger. Mit diesen zeigt er sich auch gern und oft und betont, dass die Kirchenspaltung auf lange Sicht ein Fehler sei.

Irritiert über Lochers Auftritt und seine Aussagen ist Pfarrerin Esther Gisler aus Zürich: «Da wird mir fast schlecht, wenn ich das sehe. Dieser klerikale Groove der zelebriert wird», das alles sei überhaupt nicht reformatorisch. Es zeige im Gegenteil, dass Locher einen Hang zu Hierarchie habe. Das irritiere und befremde sie.

Locher und Felix Gmür.
Legende: Gottfried Locher (links) zeigt sich gern mit katholischen Geistlichen wie hier mit dem Felix Gmür, Bischof von Basel. Keystone

Gisler ärgert sich auch über Lochers Aussagen zum Thema Frauen in Pfarrämtern. Vor einigen Jahren kritisierte Locher in einem Interview mit der «Weltwoche» die «Feminisierung» in den Kirchen. Wenn nur noch Frauen predigten, kämen die Männer irgendwann nicht mehr in die Kirche, sagte er.

Es kommt zur Aussprache mit einer Frauendelegation und zu einem Massnahmenplan, doch das reicht Esther Gisler nicht. Sie fordert, dass Gottfried Locher vor seiner Wiederwahl «ein klares Bekenntnis zu Geschlechtergerechtigkeit in seiner Kirche» abgibt.

Aussagen zu Sexualität

Für noch mehr innerkirchlichen Ärger sorgten Aussagen, die Locher in einem Buch mit dem Titel «Gottfried Locher – der reformierte Bischof auf dem Prüfstand» gemacht hat. In dem Buch bezeichnet Locher die männliche Sexualität in Jugendjahren als «beuteverschlingendes Raubtier» und macht Aussagen wie: «Sexuell unbefriedigte Männer sind unruhige Männer» und diese trügen Gewaltpotential in sich. In diesem Kontext lobte Locher im Buch die Prostituierten, denn diese leisteten einen unverzichtbaren Dienst an der Gesellschaft.

Pfarrerin Sibylle Forrer aus Zürich kritisiert, dass Locher diese Aussagen nie zurückgezogen hat. Seine Äusserungen seien frauenverachtend. «Es nimmt die Würde der Frau nicht wahr. Sie muss zu Diensten der Männer stehen, damit wir eine friedliche Welt haben und das ist eine Aussage, die ich mit dem Evangelium in keiner Art und Weise in Übereinstimmung bringen kann.»

Forrer ist irritiert über Lochers Schweigen zum Thema. Zwar habe er später gesagt, er habe sich in dem Buch zu wenig präzis ausgedrückt, doch das reicht vielen nicht.

Klärung gefordert

Sybille Forrer und Esther Gisler fordern beide, dass Gottfried Locher vor seiner Wiederwahl noch einmal öffentlich Stellung nimmt und diverse Aussagen aus der Vergangenheit erklärt.

Auch Michel Müller, Präsident der mächtigen ZH-Kirche findet gegenüber der «Rundschau» überraschend kritische Worte. Müller ist zwar Befürworter der Idee, dass die Kirche ein starkes Gesicht bekommt und personelle Leitung, doch bevor Gottfried Locher diese Rolle innehaben könne, müsse er klarstellen, was er mit den Aussagen im Buch gemeint habe.

Gegenkandidat nicht in Sicht

«Er sagte, er habe es unklar ausgedrückt, das habe ich in den Medien gelesen, dann soll er es jetzt bitteschön klar ausdrücken», sagt Müller.

Locher wollte gegenüber der «Rundschau» später keine Stellung mehr zu den Vorwürfen und Forderungen nehmen. Gegenüber anderen Medien betonte er, dass seine Aussagen aus dem Kontext gerissen worden seien und man ihn falsch verstanden habe.

Im Juni stellt er sich zur Wiederwahl. Ein Gegenkandidat ist nicht in Sicht. Die neue Verfassung des Kirchenbundes soll voraussichtlich im Dezember definitiv verabschiedet werden.

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