Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein normaler Montagmorgen. Die Schülerinnen und Schüler des Cycle d'Orientation in Carouge treffen auf dem Pausenplatz ein – so heisst in Genf die Sekundarstufe I für Schüler im Alter von 12 bis 15 Jahren. Auf den zweiten Blick ist aber vieles anders. Dutzende Lehrerinnen und Lehrer stehen rund um eine Feuerschale vor dem Eingang. Sie werden heute nicht arbeiten.
Am Rand des Pausenhofs steht eine Mutter mit ihrem Hund. Ihr Sohn sei ins Schulhaus gegangen, aber ob sein Lehrer da sei, das wisse sie nicht. Wenn der Lehrer nicht da sei, dann müsse ihr Sohn wieder nach Hause, sagt die Frau, die ihren Namen lieber nicht angeben will.
Mehr Arbeit, gleicher Lohn
Einer der streikenden Lehrer ist Michaël Savoy. Normalerweise unterrichtet er Geografie, zugleich ist er im Vorstand der Gewerkschaft der Oberstufenlehrer. Ihn stört die Botschaft hinter den beiden Zusatzlektionen. Sie müssten mehr arbeiten bei gleichbleibendem Lohn.
Im interkantonalen Vergleich ist Genf zwar noch gut dran. Hier können die Sekundarlehrpersonen zwei Drittel ihrer Zeit für die Vorbereitung nutzen. Im Schweizer Durchschnitt teilt sich die Arbeitszeit von Sekundarlehrpersonen eher hälftig: 50 Prozent Unterricht und 50 Prozent Vorbereitung.
Dass die Genfer Lehrpersonen nun einfach zwei Schulstunden mehr vor den Kindern stehen müssten, sieht Michaël Savoy als eine Sparmassnahme. Diese politische Stossrichtung beunruhige ihn sehr, sagt der Lehrer. Zumal die Jugendlichen nicht einfach zu unterrichten seien.
Bildungsdirektorin bleibt standhaft
Für den Plan, bis in drei Jahren zwei zusätzliche Lektionen einzuführen, ist Anne Hiltpold verantwortlich. Im Bildungsdepartement in der Genfer Altstadt nimmt sie Stellung. Die Genfer Bildungsdirektorin der FDP findet den einwöchigen Streik völlig unverhältnismässig.
Die streikenden Lehrpersonen würden die Schulkinder und Eltern quasi in Geiselhaft nehmen. Das gehe nicht. Zumal die Sekundarlehrerinnen und Sekundarlehrer in Genf bessere Bedingungen hätten als ihre Kollegen in anderen Kantonen.
Überall sonst in der Schweiz unterrichteten die Sekundarlehrer 28 Lektionen, die Hälfte ihrer Arbeitszeit. In Genf seien es 22 Lektionen und nur ein Drittel vor den Kindern. Hier zwei Lektionen hinzuzufügen, sei vernünftig, sagt die Genfer Bildungsdirektorin. Sie will den Forderungen der Lehrergewerkschaft, die Erhöhung um zwei Lektionen einzufrieren, auf keinen Fall nachgeben.
Zurück im Schulhaus in Carouge hat die Glocke geläutet, und mittlerweile ist klar: Der Sohn der wartenden Mutter kann bleiben. Zwei Mathematiklektionen könne er machen, danach komme er nach Hause. Er habe zwar Freude, wenn er keine Schule habe, meint die Mutter. Sie sei zu Hause, deshalb gehe das. Aber für Eltern und Schüler bleibe diese Woche speziell. Nun müsse sie halt von Tag zu Tag schauen.