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Nach dem Prozessauftakt «‹Carlos› ist kein Monster»

Im Gerichtsprozess gegen den jungen Straftäter Brian, bekannt geworden unter dem Pseudonym «Carlos», hat der Staatsanwalt eine lebenslängliche Verwahrung gefordert. Die Verteidigung verlangte dagegen ein «Ende der Härte» dem 24-jährigen Mann gegenüber.

Gerichtsreporterin und Juristin Brigitte Hürlimann schätzt als Beobachterin des Prozesses den Straftäter und die Chancen für eine Verwahrung ein.

SRF News: Brigitte Hürlimann, Brian ist nicht zum Prozess gegen ihn erschienen. Überrascht Sie dies?

Brigitte Hürlimann: Ich habe nicht damit gerechnet, aber rückblickend ist das ein geschickter Schachzug seines Verteidigers. Ich denke – anders als der Gerichtspräsident – der Beschuldigte profitiert davon, wenn er nicht vor Gericht auftritt.

Weshalb?

Ich bezweifle, dass Brian in dieser angespannten Atmosphäre ruhig und gelassen geblieben wäre. Ein Ausbruch hätte ihm geschadet, wenn später das Urteil gesprochen wird.

Die Gerichtsreporterin

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Brigitte Hürlimann

Brigitte Hürlimann ist Journalistin und Gerichtsreporterin beim Online-Magazin «Republik». Die 56-Jährige ist promovierte Juristin und arbeitete zuvor als Gerichtsberichterstatterin bei der «NZZ».

Der Gerichtsgutachter zeichnet ein düsteres Bild des Angeklagten und spricht mitunter von einem Rückfallrisiko. Wie fällt Ihre Einschätzung aus?

Mich erstaunt bei dieser Aussage folgendes: Fast niemand hat darüber gesprochen, dass all die begangenen Delikte innerhalb des Strafvollzugs geschehen sind. Es ist völlig offen, wie sich Brian verhalten wird, wenn er in Freiheit lebt. Deshalb müssen wir hinter die Rückfallgefahr ein grosses Fragezeichen setzen.

Ich bezweifle, dass Brian in dieser angespannten Atmosphäre ruhig und gelassen geblieben wäre.

Die Staatsanwaltschaft fordert dennoch eine ordentliche Verwahrung. Wird es dazu kommen?

Für Brian wäre das eine Katastrophe. Er ist 24 Jahre alt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er mit solch einer Nachricht gut umgehen könnte. Allerdings muss man sehen: Wir befinden uns vor der ersten Gerichtsinstanz. Man kann das Urteil noch an zwei weitere Instanzen weiterziehen.

Fast niemand hat darüber gesprochen, dass all die begangenen Delikte innerhalb des Strafvollzugs geschehen sind.

Ganz subjektiv zweifle ich aber daran, ob eine Verwahrung angemessen ist. Insbesondere deshalb, weil es dafür mindestens eine versuchte schwere Körperverletzung braucht – und das wird vom Verteidiger vehement bestritten. Wenn eine schwere versuchte Körperverletzung im Urteil als Katalogtat im Urteil fehlt, darf keine Verwahrung ausgesprochen werden.

Was wäre die Alternative?

Die kleine Verwahrung. Diese findet auch stationär, hinter verschlossenen Türen, statt. Diese geht einher mit einer intensiven Therapie. Das Problematische dabei ist, dass diese ebenfalls in einem geschlossenen Setting stattfinden würde. Ich habe enorme Zweifel, ob sich Brian mit solch einer Massnahme zurechtfinden könnte.

Wenn man dem Richter zuhört, tendiert dieser aber in diese Richtung.

Der Richter hat tatsächlich sehr viele Fragen gestellt, die in Richtung stationäre Behandlung deuten. Vielleicht ist das eine Art Kompromisslösung – das kleinere Übel.

Brian ist ein vom Leben gezeichneter Mann.

Ist Brian ein Monster oder ein Opfer der Behörden? Was ist Ihre Einschätzung?

Für mich steht fest: Er ist kein Monster. Brian ist ein vom Leben gezeichneter Mann. Er ist durchaus problematisch und muss an sich selbst arbeiten. Er braucht Hilfe, damit er in seinem Leben wieder Tritt fassen kann. Ich gehe davon aus, dass das besser ausserhalb der Gefängnismauern gelingt. Man könnte sich deshalb eine enges Begleitsetting überlegen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass diese Variante gut funktioniert hat.

Das Gespräch führte Simone Herrmann.

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