«Das Bundesgericht ist überlastet». Das ist ein Satz, der seit Jahrzehnten zu hören ist. Zu viele Bagatellfälle, zu wenig Zeit für das wirklich wichtige, so die Analyse. Der Nationalrat diskutierte am Vormittag über eine Reform, die diesen Misstand beheben soll. Die zwei Ziele: Den Rechtsschutz für den einzelnen Bürger nicht abbauen und trotzdem das Bundesgericht entlasten. Die Debatte im Nationalrat machte klar: beide Ziele sind kaum vereinbar.
Der Nationalrat besprach nun eine Kombination von Massnahmen: sie sollten die Zahl der Beschwerden kleiner machen, aber auch sicherstellen, dass es die wichtigen Fragen trotzdem bis nach Lausanne schaffen.
Mit dem Reformpaket bekomme das Bundesgericht wieder vermehrt die ihm zugedachte Rolle, sagte Karl Vogler, der mit der ganze CVP-Fraktion hinter der Vorlage steht. Nämlich einerseits über die gleiche Anwendung der Gesetze zu wachen und anderseits Antwort auf grundlegende Auslegungsfragen zu geben, die sich immer wieder neu stellen.
Schwierige Balance
Im Detail zeigte sich dann aber, wie schwierig diese Balance ist und was die einzelnen Parteien höher gewichten – die Arbeitsbelastung des Bundesgerichts oder das Beschwerderecht jedes Bürgers bis nach Lausanne in möglichst jedem Fall.
Beispielhaft hier das Seilziehen um eine Obergrenze bei den Bussen: Der Bundesrat wollte 5000 Franken einführen, unterstützt zum Beispiel von Beat Flach von den Grünliberalen – das wäre eine wirkliche Entlastung, sagte er: «Das betrifft dann eben auch beispielsweise Strassenverkehrsfälle. Und es macht keinen Sinn, dass man das Bundesgericht mit solchen Bagatellen behelligt.»
Aber was ist eine Bagatelle, eine Busse von 1200 Franken? Dies fragte Pirmin Schwander von der SVP und betonte: «Für den Betroffenen ist das kein Bagatellfall.»
Auch die Linke war gegen eine Grenze bei 5000 Franken, 500 Franken sei genug. Es sei grundsätzlich falsch zu versuchen, die Überlastung der Bundesrichter mit solchen Beschränkungen abzubauen, fand die SP-Frau Min Li Marti: «Diese Entlastung müsste mit zusätzlichen Ressourcen erreicht werden und nicht durch eine Einschränkung des Rechtsschutzes.»
Diese gemeinsame Linie von SP und SVP setzte sich noch bei anderen Fragen durch. So dass unter dem Strich eine Reform entstand, von der auch die Befürworter im Rat nicht mehr behaupten, sie würde die Bundesrichterinnen und -richter wirklich entlasten. Zugleich ist ein Referendum wie vor 30 Jahren unwahrscheinlicher.