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Neues Organ in Coronazeiten «Es zählt jedes Herz»

Wegen Corona nimmt die Zahl der Organ-Transplantationen weltweit klar ab. Nicht so in der Schweiz. So wurden beispielsweise am Unispital in Lausanne bis April sieben Herzen transplantiert, in der gleichen Periode des Vorjahres waren es deren neun. Der verantwortliche Chefarzt am Herztransplantationszentrum, Roger Hullin, erklärt, wieso das so ist.

Roger Hullin

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Der Kardiologe Roger Hullin ist am Universitätsspital Lausanne (CHUV) verantwortlich für Herztransplantationen.

SRF News: Wie war es möglich, trotz der Coronapandemie weiterhin Organe zu transplantieren?

Roger Hullin: Wir haben uns sehr genau überlegt, wie wir mit der Situation der Coronapandemie umgehen wollen und die Risiken gegeneinander abgewogen. Dabei wurde deutlich, dass es auf den Intensivstationen trotz der Coronapatienten noch genug Platz hat, um Herztransplantations-Patienten zu betreuen.

Im März warteten 35 Patienten auf ein neues Herz.

Was hat den Ausschlag für den Entscheid gegeben, die Herztransplantationen fortzuführen?

Auf der Herztransplantations-Liste warteten im März 35 Patientinnen und Patienten auf ein neues Organ. Es zählt also jedes Herz, das wir transplantieren können.

Wie hat man das Platzproblem sowie jenes, dass sich Transplantations-Patienten mit dem Coronavirus anstecken könnten, gelöst?

Wir haben jene Patienten, die für eine Transplantation infrage kamen, frühzeitig ins Spital bestellt und sie auf das neuartige Coronavirus getestet. Zum Teil haben wir für ein Organ sogar zwei mögliche Empfänger eingeladen. Dabei haben wir den Patienten transparent erklärt, dass wir erst nach dem Test vor Ort entscheiden, wer das Organ erhält. Zudem führten wir auf der Intensivstation eine strenge Trennung der Coronapatienten und der Transplantations-Patienten ein.

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Man hat also zwei Personen für ein zur Verfügung stehendes Organ eingeladen. Hat man da nicht Hoffnung geschürt, die in einem Fall nicht erfüllt werden konnte?

Das ist so. Andererseits wissen die Patienten, dass jedes Organ auch tatsächlich transplantiert wird. Ausserdem wissen sie, dass man, falls man das Organ diesmal nicht erhält, bei einem nächsten, ähnlichen Organ, ganz sicher der Empfänger sein wird.

In der Schweiz gibt es immer weniger Organspender – diese Situation hat sich durch die Coronapandemie noch verschärft. Woher kamen die Organe, die Sie transplantiert haben?

Sie kamen teilweise aus Frankreich. Eines kam aus dem Tessin, zwei weitere aus anderen Regionen der Schweiz. Die Organe konnten nur transplantiert werden, wenn sicher war, dass die Spender nicht mit Corona infiziert waren. Ausserdem mussten die Spender die Kriterien erfüllen, die wir einfordern, damit wir ein Transplantationsorgan akzeptieren. Und drittens musste der Empfänger mit dem Spenderorgan kompatibel sein, damit wir hier in Lausanne das Organ transplantieren konnten.

Die Patienten können nach der Transplantation keinen Besuch erhalten – das ist eine schwierige Situation.

Wie sehr hat die Coronapandemie ihren Alltag im Unispital Lausanne verändert?

Wir müssen auch für unsere Transplantations-Patienten die Auflagen erfüllen, die wegen der Pandemie für alle Patienten gelten. Das ist unter Umständen schwierig: So können sie nach einer Transplantation etwa keinen Besuch von ihren Angehörigen erhalten. Ansonsten wurden die gleichen hygienischen Massnahmen angewendet, wie das bei Herztransplantationen üblich ist. Die Abteilung, auf der sich Covid-19-Patienten befinden, liegt dabei in deutlicher räumlicher Distanz zu jener der Transplantations-Patienten.

Das Gespräch führte Sandra Witmer.

SRF 4 News, 20.5.2020, 06.50 Uhr ; 

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