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Rahmenabkommen Schweiz - EU Der eigentliche Nervenkrieg kommt erst noch

Brüssel will die Verhandlungen mit der Schweiz rasch abschliessen. Der Bundesrat spielt auf Zeit. Eine Auslegeordnung.

Die Frist ist verstrichen – passiert ist vorerst nichts. Bis Mitte Oktober sollten die Verhandlungen über das Rahmenabkommen abgeschlossen sein, ermahnte kürzlich der EU-Unterhändler Christian Leffler seine Schweizer Verhandlungspartner: «Das Zeitfenster schliesst sich.»

Von SRF auf die Frist angesprochen, sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Montag lediglich, in der letzten Verhandlungsrunde sei kein entscheidender Fortschritt erzielt worden. Heute Dienstag werde Leffler abermals seinen Schweizer Kollegen, Staatssekretär Roberto Balzaretti, treffen. «Das wird die Gelegenheit sein, um gemeinsam den Stand der Verhandlungen zu bewerten.»

Ende Woche weilt dann der Schweizer Bundespräsident Alain Berset an einem Europa-Asien-Gipfel in Brüssel, zusammen mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Es wäre die Gelegenheit, die offenen Punkte auf höchster Ebene zu erörtern. Doch ob es überhaupt zu einem bilateralen Treffen kommt, ist unklar.

Rahmenabkommen als Blaupause für den Brexit

Vieles spricht tatsächlich dafür, dass die Verhandlungen noch nicht unmittelbar vor dem Abschluss stehen.

Die Ungeduld der EU-Kommission überrascht indes nicht. Sie will baldmöglichst die Verhandlungen abschliessen, um dann mit den Briten ein Abkommen über das künftige Verhältnis nach dem Brexit auszuhandeln. Mit dem Rahmenabkommen könnte Junckers Behörde der Regierung von Theresa May vor Augen führen, was für einen Drittstaat im Verhältnis zur EU möglich ist – und was nicht.

Doch die Verhandlungen mit den Schweizern sind festgefahren. Die EU verlangt, dass auch der Lohnschutz unter die Regeln des Rahmenabkommens fällt. Das hiesse: Die Schweiz müsste beim Lohnschutz neue EU-Gesetze ins eigene Recht übernehmen. In Streitfällen könnten beide Seiten ein Schiedsgericht anrufen.

Stolperstein Lohnschutz

Das stösst in der Schweiz sauer auf. Die Schweizer Gewerkschaften teilen die Angst der SVP vor fremdem Recht und fremden Richtern. Sie wollen, dass die Eidgenossenschaft auch in Zukunft Lohnschutz-Massnahmen wie zum Beispiel die Acht-Tage-Regel eigenständig beschliessen kann.

Die Acht-Tage-Regel verpflichtet ausländische Firmen, sich acht Tage im Voraus anzumelden, wenn sie in der Schweiz etwa einen Bauauftrag ausführen wollen. Die Gewerkschaften können so die Baustellen kontrollieren.

Doch just diese Regel ist Brüssel seit jeher ein Dorn im Auge. Sie sei diskriminierend, weil sie ausländische Firmen unter dem Deckmantel des Lohnschutzes vom Schweizer Markt fernhalte. Die Acht-Tage-Regel widerspreche dem Personenfreizügigkeits-Abkommen, sie sei schlicht illegal.

Auf die Forderung der Gewerkschaften, den Lohnschutz vom Abkommen auszunehmen, reagieren EU-Diplomaten mit Kopfschütteln. Wofür hätten sie denn überhaupt jahrelang verhandelt?

Spiel auf Zeit

Ein Kompromiss, der sowohl in der EU wie auch in der Schweiz auf breite Zustimmung stossen könnte, ist schwer vorstellbar.

Während die EU aufs Tempo drückt, spielt der Bundesrat auf Zeit. Einige Mitglieder der Landesregierung glauben, dass es besser wäre, die Einigung zwischen der EU und Grossbritannien abzuwarten. Wer weiss, was die Briten am Verhandlungstisch herausholen.

Ausserdem fürchten Schweizer Politiker einen Verhandlungsabschluss kurz vor der Abstimmung über die Selbstbestimmungsinitiative am 25. November. Die Initiative richtet sich gegen den Einfluss internationaler Gerichte. Ein Abschluss des Rahmenabkommens kurz vor dem Abstimmungstag könnte den Initianten aus der SVP Auftrieb verleihen.

Was, wenn auch diese Woche kein Durchbruch gelingt?

Der Bundesrat scheint sich sicher, dass die EU das Zeitfenster, sprich die Türe, für die Verhandlungen vorerst nicht zuschlagen wird. Schliesslich will sie den Deal mit der Schweiz unbedingt.

Und sie hat durchaus Druckmittel: Bis zum 31. Dezember muss die EU entscheiden, ob sie die Anerkennung der Schweizer Börse verlängert. Nur so dürften Aktienhändler aus den 28 EU-Staaten weiter uneingeschränkt auf der Schweizer Börse Geschäfte tätigen. Viel Geld steht auf dem Spiel, vor allem für die Schweiz, aber auch für die EU.

Die Anerkennung hatte die EU Ende 2017 bloss für ein Jahr erteilt. Ohne Einigung beim Rahmenabkommen könne er sich nicht vorstellen, dass man die Ausnahme nochmals um ein Jahr verlängere, sagte EU-Kommissar Johannes Hahn vor einem Monat in einem Interview mit der NZZ.

Eine glaubhafte Ankündigung? Oder bloss eine leere Drohung? Die jüngste Frist fürs Rahmenabkommen ist vorerst verstrichen – doch der eigentliche Nervenkrieg steht erst bevor.

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