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Rote Linie Lohnschutz Der Bundesrat hofft auf ein Wunder

Mit dem Institutionellen Abkommen in der vorliegenden Fassung findet man in der Schweiz keine Mehrheit. Dies macht der Bundesrat heute in einem Brief an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erstmals klar.

Eine realistische Einschätzung: Hätte der Bundesrat jetzt einfach grünes Licht gegeben, wie das zum Beispiel der Wirtschafts-Dachverband Economiesuisse gefordert hat, dann wäre er ziemlich sicher im Parlament oder spätestens in einer Volksabstimmung aufgelaufen.

Nun verlangt der Bundesrat in drei Punkten «Klärungen» und vermeidet es tunlichst, von «Nachverhandlungen» zu sprechen, denn solche schliesst die EU explizit aus. Nachverhandeln in der Diplomatensprache bedeutet, dass man den Abkommenstext nachträglich anpasst. «Klärungen» hingegen kann man ausserhalb des Abkommens zu Papier bringen – in der Form von Erläuterungen, wie der Text auszulegen sei.

Lohnschutz bleibt Knackpunkt

Bei zwei der drei kritisierten Punkte dürften solche Klärungen möglich sein: bei der Unionsbürgerrichtlinie und bei den staatlichen Beihilfen.

Beim Lohnschutz hingegen wird es ohne Anpassungen am Abkommenstext selber kaum gehen. Bis heute fordern die Gewerkschaften, dass die flankierenden Massnahmen zum Schutz der Löhne gar nicht vom Rahmenabkommen erfasst werden. Weil jede Übernahme von bestehendem oder künftigem Recht der EU in diesem Bereich einen massiven Abbau des Lohnschutzes in der Schweiz bedeuten würde, wie sie befürchten.

Die EU ihrerseits kritisiert die flankierenden Massnahmen seit deren Einführung als Verstoss gegen das Abkommen über die Personenfreizügigkeit. Sie sind eigentlich der Grund, weshalb die EU überhaupt ein Rahmenabkommen mit der Schweiz will.

Gewerkschaften müssen mit ins Boot

Der Bundesrat hofft also auf ein Wunder, wenn er hier auf eine Annäherung zwischen den Positionen der EU und der Gewerkschaften in der Schweiz setzt. Und Wunder geschehen bekanntlich selten.

Die Gewerkschaften aber braucht er, um die absehbare Volksabstimmung über das Abkommen gewinnen zu können. Denn über den eigentlichen Kern des Rahmenabkommens hat man bisher noch kaum gesprochen: den Fakt, dass die Schweiz von der EU hochoffiziell bestraft werden dürfte, wann immer sie eine Rechtsentwicklung der EU im Bereich des Marktzugangs ablehnt.

Abstimmungen über solche Fragen würden also künftig immer unter Strafandrohung stattfinden. Um die Schweizer Bevölkerung von einem solch massiven Einschnitt in die direkte Demokratie zu überzeugen, wird es ein bisschen mehr brauchen als «Klärungen».

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