Neunundneunzig Stühle stehen in einer langen Reihe vor dem Bundeshaus. Neunundneunzig Menschen mit einer roten Fahne der Jungsozialisten (Jusos) tauchen auf und nehmen Platz. Mikrofone wandern der Reihe entlang. Ein Lehrer, eine Putzfrau, ein Maurer, eine Studentin erklären, weshalb sie als Vertreter der arbeitenden Bevölkerung verlangen, dass das Kapital stärker besteuert wird.
Objektiv gesehen haben sie dazu beigetragen, dass die Rechtsbürgerlichen einen grossen Sieg errungen haben.
Manche SP-Mitglieder enttäuscht von ihrer Jungpartei
Die Jusos wissen, wie man etwas inszeniert. Bei der Mutterpartei, der SP, kommt das nicht nur gut an. Die Jusos würden zu Gunsten der Selbstprofilierung Inhalte vernachlässigen, heisst es. Schlimmer noch: Sie hätten bei der Rentenreform sogar den politischen Gegnern zum Sieg verholfen. Das Verhältnis mit den Jusos sei getrübt, sagt SP-Fraktionschef Roger Nordmann.
Das Nein der Juso habe wesentlich dazu mitgeholfen, dass die Rentenreform abgelehnt worden sei. «Objektiv gesehen haben sie dazu beigetragen, dass die Rechtsbürgerlichen einen grossen Sieg errungen haben.» Ihr Kampf gegen die Rentenreform werde sich als Eigentor erweisen, prophezeit Nordmann.
Es war nicht nur ein strategischer Fehler, sondern ein politischer. Sie waren politisch im Offside.
Es sei nun eine weniger soziale Reform zu erwarten, da sich das Parlament inzwischen nach rechts bewegt habe. In solch einer zentralen Frage dürfe die Jungpartei nicht abtrünnig werden. «Juso, das sind die Jugendlichen, die Frechen. Sie sind wie Teenager. Sie haben auch Ziele, die utopisch sind. Aber sie dürfen nicht gegen die SP kämpfen.»
Auch ehemalige Jusos rechnen mit Verschlechterung
Auch Exponenten des linken Flügels der SP äussern Kritik. Zwei ehemalige Juso-Präsidenten, Nationalrat Cedric Wermuth, und Fabian Molina teilen die Einschätzung, dass nun eine schlechtere Lösung des Rentenproblems droht. Sie warben beide für ein Ja.
Auch SP-Nationalrat und Gewerkschafter Corrado Pardini geht mit der Jungpartei hart ins Gericht: «Es war nicht nur ein strategischer Fehler, sondern ein politischer. Sie waren politisch im Offside.»
Die Juso hätten einen oberflächlichen Entscheid gefällt und die Komplexität des Rententhemas ausgeblendet: «Sie nahmen das Seziermesser und schnitten das Rentenalter der Frauen aus und machten daraus ein Propagandamittel.» Er erachte diese Art zu politisieren als sehr gefährlich. Man sei nicht gegen Fehler gefeit.
Angeschlagene Glaubwürdigkeit?
Pardini möchte weiterhin mit den Juso zusammenarbeiten, sagt er, wenn Gras über die Sache gewachsen sei. Die SP sei keine stalinistische Organisation, die Andersdenkende massregle, betont Fraktionschef Roger Nordmann. «Aber innerhalb der SP ist der Glanz und die Glaubwürdigkeit der Juso angeschlagen.»
Angeschlagene Glaubwürdigkeit hin oder her, Juso-Präsidentin Tamara Funiciello lässt sich nicht beirren. Sie erklärt: «Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.»
«Unglaublich materiell»
Man könne nicht aus Angst vor einer noch schlechteren Vorlage einem schlechten Kompromiss zustimmen. Den Vorwurf, auf Schlagzeilen statt auf Inhalte zu setzen, weist sie weit von sich: «Die Erhöhung des Frauenrentenalters ist unglaublich materiell. Sie hätte viele Frauen dazu gezwungen, ein Jahr länger zu arbeiten. Das sind nicht einfach Schlagzeilen.»
Die Erhöhung des Frauenrentenalters hätte viele Frauen dazu gezwungen, ein Jahr länger zu arbeiten. Das ist unglaublich materiell.»
Die Jusos liessen sich von der SP nicht in die Schranken weisen, erklärt Tamara Funiciello und sie würden eigenständig entscheiden. «Wir setzen uns damit auseinander, wo Macht gemacht wird und wo Rückverteilung passiert. Die passiert auch in der Altersvorsorge.»
Auch die Mutterpartei wird nicht geschont
Die Jusos beschreiten weiterhin den Weg, den sie nach der Wahlniederlage der Sozialdemokraten 2007 eingeschlagen haben. Sie engagieren sich stärker bei wichtigen Themen und rücken ihr Personal in den Mittelpunkt.
So sind sie zu einem kleinen, aber doch relevanten Mitspieler auf dem politischen Parkett geworden. Sie würden wenn nötig auch wieder gegen die Mutterpartei antreten, kündigt Juso-Präsidentin Funiciello an. Die SP muss sich also auf weitere Auseinandersetzungen mit ihrer streitbaren Jungpartei gefasst machen.