SRF: Frau Grau, Sie haben den Vorsitz der Schweiz in der OSZE als Leiterin einer Task Force während einem Jahr mit einem 20köpfigen Team vorbereitet. Was dominiert denn jetzt: Freude, Spannung oder ganz einfach viele Fragezeichen?
Heidi Grau: Es ist eine Mischung von alledem. Wir freuen uns und sind gespannt. Es ist eine grosse Verantwortung, die wir übernehmen. Und natürlich gibt es auch immer noch das eine oder andere Fragezeichen. Die politische Situation um uns herum entwickelt sich weiter, da wird es auch Unsicherheitsfaktoren geben. Wir werden uns anpassen und flexibel darauf reagieren müssen.
Die Schweiz will sich auf die Kaukasus-Region und den Balkan konzentrieren: Da stehen schwierige Konflikte im Zentrum. Was müsste sich zum Beispiel im Balkan ändern, damit Sie in einem Jahr eine positive Bilanz ziehen können?
Der Balkan ist eine Region, in der wir mit einem gewissen Optimismus an die Arbeit gehen. Wir wollen dort eine bessere regionale Zusammenarbeit schaffen. Wir möchten dort Aspekte wie Vergangenheitsbewältigung und Versöhnung in den Vordergrund rücken.
Die Schweiz hat hier in der Vergangenheit viel Wissen aufgebaut und da möchten wir ein paar entscheidende Schritte weiterkommen. Es wäre schön, wenn unsere Bemühungen im Jahr 2015 in einer Balkan-Versöhnungskonferenz gipfeln würden. Das wäre grossartig. Dazu gehört auch die Umsetzung des Abkommens zwischen Belgrad und Pristina. Eine Normalisierung der Beziehungen in der Region Balkan – das wäre das Ziel bis Ende 2015.
Die OSZE war wichtig während des Kalten Kriegs als gemeinsames Forum zwischen Ost und West. Inzwischen hat sich die Welt verändert – braucht es die OSZE überhaupt noch?
Ja! Während der einjährigen Vorbereitungszeit bin ich sogar wieder zu einem Fan dieser Organisation geworden. Sie ist weiterhin die grösste regionale Sicherheitsorganisation, vier der fünf Ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates sind mit dabei. Die 57 OSZE-Staaten treffen sich einmal pro Woche und erörtern sicherheitspolitische Fragen der ganzen Bandbreite. Sicherheit durch Kooperation – das ist der Grundgedanke der OSZE und er ist in den letzten Jahren verstärkt wieder aktuell geworden, wie derzeit etwa am Beispiel der Ukraine zu sehen ist. Nur die OSZE kann hier noch einen Interessenausgleich vermitteln. Die Suche nach Kompromissen muss denn auch im Vordergrund unseres Vorsitzes stehen.
Die Schweiz hat eine Art Tandem-Vorsitz 2014/15 zusammen mit Serbien. Nun: Serbien hat eine nationalistische Regierung, ist bei bestimmten Fragen – etwa was den Kosovo angeht – nicht der gleichen Meinung wie die Schweiz und hat – was Menschenrechte angeht – einen eher zweifelhaften Ruf. Das tönt nach einer Hochrisiko-Mission für die Schweiz...
Bis jetzt ist das Gegenteil der Fall. Es war eine substanzielle und sehr gute Zusammenarbeit mit Serbien. Wir versuchen dies zu nutzen, um die Aussöhnung und regionale Zusammenarbeit im Balkan voranzutreiben. Bis jetzt haben wir viel Positives mit Serbien erlebt.
Serbien erhofft sich von der OSZE-Präsidentschaft eine Annäherung an die EU. Was aber springt für die Schweiz raus?
Für uns ist es eine interessante Aufgabe, weil wir mit 56 Staaten intensivierte Kontakte haben. Was dann aber herausspringt ist vor allem bilateraler Natur, etwa die verbesserten Beziehungen mit Serbien. Das ist ein ganz konkreter Gewinn, schon bevor wir überhaupt mit dem Präsidialjahr begonnen haben. Und natürlich ist der Vorsitz ein Trainingsfeld für Schweizer Diplomaten. Nicht zuletzt ist er auch ein Schaufenster, um anderen zu zeigen, was wir zu leisten im Stande sind.
Das Interview führte Simone Fatzer