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Sterbehilfe: Wegweisender Fall Hat Ärztin psychisch Kranke unzulässig in Tod begleitet?

Das Gericht muss entscheiden, ob die Ärztin Erika Preisig den Todeswunsch einer psychisch kranken Frau ausreichend abgeklärt hat. Der Fall gilt als wegweisend für die Sterbehilfe in der Schweiz.

Ist ein psychisch schwerkranker Mensch in der Lage abzuschätzen, ob sein Wunsch zu sterben definitiv ist – oder durch die Krankheit bedingt? Am Baselbieter Kantonsgericht wird seit Freitag ein Fall verhandelt, der wegweisend sein könnte für die Praxis der Sterbehilfe in der Schweiz.

Im Kern geht es um die Frage, ob psychisch kranke Menschen auch ein Recht auf den Freitod haben. Es ist gesetzlich nicht klar geregelt, bei welchen Diagnosen ein psychiatrisches Fachgutachten notwendig ist.

Der Vorwurf: Psychiatrisches Gutachten fehlte

Der Fall geht zurück auf eine damals 66-jährige psychisch kranke und suizidale Frau, die Erika Preisig – Ärztin und Präsidentin der Sterbehilfeorganisation «Eternal Spirit» – vor fünf Jahren in den Freitod begleitet hatte. Der strafrechtlich strittige Punkt dabei ist, dass Preisig kein unabhängiges psychiatrisches Gutachten zur Urteilsfähigkeit der Patientin eingeholt hatte.

Die Staatsanwaltschaft wirft der Ärztin vorsätzliche Tötung vor, weil sie ihrer Sorgfaltspflicht nicht genügend nachgekommen sei.

Erstinstanzlich in Hauptanklagepunkt freigesprochen

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Erika Preisig
Legende: Keystone

Das Baselbieter Strafgericht hatte Erika Preisig im Juli 2019 erstinstanzlich vom Hauptanklagepunkt der vorsätzlichen Tötung freigesprochen. Schuldig sprach das Strafgericht die Ärztin jedoch wegen der Abgabe von Medikamenten an eine psychisch kranke Frau. Sie habe damit gegen das Heilmittelgesetz verstossen, entschieden die Richter, und verurteilten Preisig zu 15 Monaten bedingtem Freiheitsentzug und einer Busse von 20'000 Franken.

Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch Erika Preisig legten darauf Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ein. Die Ärztin plädierte auf vollständigen Freispruch von allen Anklagepunkten.

Vor dem Baselbieter Kantonsgericht verteidigte Erika Preisig am Freitag ihr Vorgehen erneut. Dabei ging es wiederum vor allem um den strittigen Punkt der Urteilsfähigkeit der Patientin. Sie habe die Frau nie als explizit depressiv und entsprechend stets als urteilsfähig wahrgenommen, so Preisig.

War die Frau urteilsfähig?

Preisig hätte, um sich rechtlich abzusichern, aber trotzdem gerne einen Psychiater oder eine Psychiaterin für ein Gutachtern beigezogen, sagte sie. Aufgrund von Erfahrungen aus der Vergangenheit habe sie dieses Unterfangen aber als aussichtslos beurteilt. Unzählige Anfragen um psychiatrische Gutachten seien stets abgewiesen worden. Bei Todeswünschen werde hier abgeblockt.

Heikle Fälle: Psychisch Kranke und der begleitete Freitod

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Mann sitzt auf Bank und stützt Kopf in die Hände.
Legende: Colourbox

Urteilsfähige Menschen dürfen ihr Leben in der Schweiz mit einer Freitodbegleitung beenden - auch wenn sie psychisch krank sind. Im Fall von psychisch Kranken ist es mitunter jedoch heikel zu entscheiden, ob der Sterbewunsch «Ausdruck einer psychischen Störung» oder «dem selbst bestimmten, wohlerwogenen und dauerhaften Entscheid einer urteilsfähigen Person» entstammt, wie das Bundesgericht 2006 in einem Urteil festgehalten hat. Dies lasse sich nur mit Fachkenntnissen beurteilen und erfordere daher ein vertieftes psychiatrisches Fachgutachten.

Den Vorwurf aus dem gerichtlichen Fachgutachten, dass sie die Willensäusserung mit Urteilsfähigkeit verwechselt habe, wies Preisig als nicht nachvollziehbar zurück. Die Patientin habe stets ein hohes Mass Erkenntnisfähigkeit offenbart, was auf ihre Urteilsfähigkeit schliessen lasse.

Wegweisender Fall für Sterbehilfe

Das Kantonsgericht wird das Urteil am 7. Mai eröffnen. Es ist davon auszugehen, dass der Fall damit aber nicht abgeschlossen sein wird.

Der Fall Preisig hat für die Sterbehilfe in der Schweiz einen wegweisenden Charakter. Es geht nicht zuletzt um die Klärung der gesetzlich nicht geregelten Frage, bei welchen Diagnosen ein psychiatrisches Fachgutachten notwendig ist. Es ist davon auszugehen, dass das Bundesgericht in diesem Fall das letzte Wort haben wird.

SRF 1, Regionaljournal Basel, 30.04.2021, 06.32 Uhr ; 

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