Der Wettbewerb, so argumentieren Ökonomen, führe zur ständigen Neupositionierung und Neubewertung, so auch beim Standortfaktor Steuern. Um attraktiv zu bleiben, müssten Kantone und Gemeinden öffentliche Dienstleistungen zu möglichst tiefen Steuersätzen anbieten. Davon profitieren dann alle, denn der Staat bleibt schlank.
Nicht alle kämpfen mit gleich langen Spiessen
In der Praxis ist alles etwas komplizierter. So sind beispielsweise die Voraussetzungen im Steuerwettbewerb nicht für alle Kantone dieselben. Kleinere Kantone haben einen Vorteil: Senken sie Steuern, können zuziehende Firmen oder Reiche die Steuerausfälle durch die Steuersenkung kompensieren und die Einnahmen gar erhöhen.
Das zeigt sich am Beispiel Zug. Die attraktiven Gewinn- und Einkommenssteuersätze sorgen für eine hohe Konzentration von prosperierenden Unternehmen und wohlhabenden Bewohnern und damit für deutlich höhere Steuereinnahmen als bei Kantonen mit höheren Steuern. Davon profitieren auch weniger wohlhabende Privatpersonen, die in Zug wohnen. Sie zahlen vergleichsweise tiefe Steuern, bekommen aber im Gegenzug gute Dienstleistungen von Kanton und Gemeinde.
Auch bei den Ausgaben der Gemeinden und der Kantone gibt es Unterschiede. In einigen Regionen sind öffentliche Dienstleistungen aufgrund geografischer und demografischer Herausforderungen schwieriger zu erbringen. Das ist besonders in isolierten, dünn besiedelten oder landwirtschaftlich geprägten Kantonen wie etwa Graubünden und Wallis der Fall.
Ausserdem können sich einzelne Kantone höhere Steuern leisten. Denn bei der Standortwahl ist für Unternehmen nicht nur der Steuersatz entscheidend. Auch andere Faktoren wie etwa die Verfügbarkeit von Fachkräften, die Infrastruktur oder das Firmennetzwerk vor Ort spielen eine Rolle. «Zürich ist ein Beispiel dafür», sagt Kurt Schmidheiny von der Universität Basel.
Wettbewerb nicht ohne Finanzausgleich
Um die ungleich langen Spiesse im Steuerwettbewerb auszugleichen gibt es in der Schweiz den Nationalen Finanzausgleich. Dieser verschiebt jedes Jahr grosse Geldbeträge von reicheren in ärmere Teile des Landes. Konkret: Wohlhabendere Kantone bezahlen den leistungsschwächeren Kantonen Geld.
Mit dem Finanzausgleich soll ein Steuerstreit unter den Kantonen vermieden werden, ohne den Wettbewerb ganz zum Ersticken zu bringen. Seit Jahren bezahlen die Kantone Zürich, Zug und Genf am meisten in das System ein; die grössten Empfänger sind Bern, Wallis und Aargau. Insgesamt 3,5 Milliarden Franken werden in die unterdurchschnittlichen Kantone geleitet.
Nötig in einem reichen Land wie der Schweiz?
Der Finanzausgleich ist allerdings nicht unumstritten. Je grösser die Unterstützung der ressourcenarmen Kantone, desto geringer der Anreiz für sie, die Einnahmen zu erhöhen, argumentieren etwa reichere Kantone. Für reiche Kantone wiederum sinke der Anreiz, die Einnahmen zu erhöhen, so Schmidheiny.
Es geht darum, die Spannung zwischen Umverteilung und Anreiz auszugleichen.
«Es geht darum, die Spannung zwischen Umverteilung und Anreiz auszugleichen», erklärt der Ökonom. Die Frage der Fairness ist seit Jahren ein heiss diskutiertes Thema. Im Mai beschloss das Parlament die Reform des Nationalen Finanzausgleichs. Diese soll zu einer Entlastung der reicheren Kantone führen.
Karten im Steuerwettbewerb werden neu gemischt
Im Buhlen um Reiche und Firmen stehen die Kantone auch international in einem Wettbewerb. Die Schweiz konkurriert mit anderen steuerlich attraktiven Standorten wie Hongkong oder Singapur.
Auf Druck der Europäischen Union und der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, muss die Schweiz jedoch die Steuerprivilegien für Holding-Gesellschaften abschaffen. Um trotzdem als Standort attraktiv zu bleiben, haben Kantone ihre Gewinnsteuer gesenkt oder werden es demnächst tun.
Die Karten werden im Steuerwettbewerb also neu gemischt. Die Kantone gleichen sich bei der Gewinnsteuer an, bis auf ein paar Ausnahmen. «In der ökonomischen Theorie nennen wir das ein Race-to-the-Bottom», erklärt der Ökonom Schmidheiny. Mit anderen Worten: das Steuerniveau sinkt.
Die Entwicklung bringt die Kantone unter Druck, die ihre Gewinnsteuern nicht senken, wie zum Beispiel den Kanton Aargau. Dort ist man der Ansicht: Eine drastische Reduktion lässt sich nicht gegenfinanzieren. Mit jedem Prozent, um das die Gewinnsteuern sinken, würde der Kanton 30 Millionen Franken verlieren, argumentiert die Regierung. Sie glaubt nicht, dies durch Firmenzuzüge wettmachen zu können.
Wenn die Rechnung nicht aufgeht
Ein Pauschalrezept gibt es nicht. «Zu berechnen, wie hoch die zusätzlichen Einnahmen pro Prozentpunkt Senkung sind, ist eine Herausforderung», sagt Kurt Schmidheiny. Das zeigt das Beispiel Luzern; Der Kanton wollte im Tiefsteuerwettbewerb seinen Nachbarkantonen Konkurrenz machen und senkte vor ein paar Jahren seine Gewinnsteuern massiv.
Zwar verbucht Luzern inzwischen wieder schwarze Zahlen, lange schrieb der Kanton jedoch tiefrote Zahlen. Es war ihm nicht geglückt, das Loch in der Kasse mit Firmenzuzügen wettzumachen. Trotz schwarzer Zahlen sind die linken Parteien nicht zufrieden. Das gute Resultat sei alleine neuen Sparmassnahmen zu verdanken. Luzern spart tatsächlich an allen möglichen Ecken und Enden – etwa bei den Stipendien oder bei Menschen mit einer Behinderung.
Der Wettbewerb um die Reichen führt zu einer Segregation.
«Die Angst zahlungskräftige Firmen zu verlieren, kann durchaus dazu führen, dass zu wenig Steuern erhoben werden», bestätigt Kurt Schmidheiny. Die Kantone müssen dann entweder die öffentlichen Ausgaben kürzen oder anderweitig Einnahmen generieren, etwa durch die Besteuerung der Einkommen.
«Der Wettbewerb unter den Kantonen und den Gemeinden um die Reichen führt zudem zu einer Segregation», so Schmidheiny weiter. Reiche zieht es in steuergünstige Gemeinden. Das kann dazu führen, dass die Immobilienpreise steigen und steuergünstige Gemeinden für mittelständische Familie zu teuer werden.
Familien mit Kindern seien zudem weniger mobil als einkommensstarke Haushalte und Haushalte ohne Kinder, sagt Kurt Schmidheiny. Sie hätten darum weniger Spielraum als Reiche, in andere Gemeinden oder Kantone auszuweichen.
Auch wenn noch nicht alle Kantone entschieden haben, ob sie die Gewinnsteuern senken wollen oder nicht. Eines ist klar: Der Steuerwettbewerb geht in eine neue Runde und wird härter – international, aber auch innerhalb der Schweiz. Klar ist auch: Es wird Verlierer geben.