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Streit mit der EU Zeichen der Schwäche aus Bern

Es sei erstaunlich, dass der Bundesrat die Ostmilliarde nicht gleich ganz auf Eis legt, analysiert Bundeshauskorrespondentin Priscilla Imboden.

Der Streit zwischen der Schweiz und der EU eskaliert. Der Bundesrat in Bern droht öffentlich mit Gegenmassnahmen, weil die EU die Börsenäquivalenz nur auf ein Jahr befristet gewähren will. Sie soll nur verlängert werden, wenn die Schweiz «genügenden Fortschritt» beim Aushandeln eines institutionellen Rahmenabkommens an den Tag legt.

Priscilla Imboden

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Priscilla Imboden

Priscilla Imboden ist schweizerisch-amerikanische Doppelbürgerin und war vier Jahre lang als USA-Korrespondentin für SRF tätig, bevor sie zur Bundeshausredaktion von Radio SRF stiess. Davor arbeitete sie bereits während acht Jahren in der Wirtschaftsredaktion von Radio SRF in Bern.

Der Bundesrat erachtet das Vorgehen der EU als Angriff auf den Schweizer Finanzplatz. Er will deshalb als Gegenmassnahme den Schweizer Börsenplatz stärken, mit einer Abschaffung der Stempelabgabe. Doch wenn es Händlern aus der EU in einem Jahr untersagt wird, an der Schweizer Börse Wertpapiere zu kaufen, so ist diese Massnahme relativ wirkungslos. Rund die Hälfte des Handelsvolumens würde dann wegfallen.

Zögerlich wirkt auch die Ankündigung, bei der bereits versprochenen Kohäsionsmilliarde über die Bücher gehen zu wollen. Das dürfte Brüssel wenig beeindrucken. Es ist deshalb erstaunlich, dass der Bundesrat die Ostmilliarde nicht umgehend auf Eis legt. Er verzichtet damit darauf, sein wohl grösstes Druckmittel mit Nachdruck einzusetzen.

Aus heutiger Sicht ist klar: Es war blauäugig, den Kohäsionsbetrag zu sprechen, ohne dass Jean-Claude Juncker öffentlich Zugeständnisse an die Schweiz in Aussicht stellte. Denn eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis die EU den Druck erhöhte.

Seit bald einem Jahrzehnt fordert Brüssel, dass die Schweiz in Zukunft Änderungen im EU-Recht laufend übernimmt, als Preis für den Zugang zum EU-Binnenmarkt. Der Bundesrat ist bereit, ein solches auszuhandeln. Nach vielen Runden ist aber keine Einigung absehbar. Es scheitert an der Frage, wer entscheidet, falls sich die beiden Parteien uneinig sind: der Europäische Gerichtshof oder ein anderes Gremium.

Der neue Aussenminister, FDP-Bundesrat Ignazio Cassis, wurde mit Stimmen der SVP in den Bundesrat gewählt. Die Volkspartei erwartet, dass er bei der Europapolitik auf die Bremse steht. Das tut er, indem er eine Auslegeordnung verlangt, bevor er weitere Schritte unternimmt. Das ist in Brüssel wohl auch registriert worden: Die Schweiz nimmt sich Zeit, schiebt das Problem vor sich hin, aus Angst vor politischem Widerstand im Inland.

Dass die EU nun ihre Macht ausspielt, ist deshalb logisch. Nur letzte Woche setzte Brüssel die Schweiz auf eine graue Liste der Steueroasen, auch das ein Affront. Aussenpolitik ist immer Interessenpolitik, so viel geben wie nötig und so viel nehmen wie möglich. Entscheidend ist meistens, wer dabei am grösseren Hebel steht.

Die Schweiz wirkt in ihrer Europapolitik orientierungslos. Das hilft in dieser ungemütlichen Lage wenig. Sie braucht den Marktzugang zur EU, möchte sich aber nicht vorschreiben lassen, nach welchen Regeln dieser Markt funktioniert.

So etwas auszuhandeln, ist hohe diplomatische Kunst. Ohne eine geschickte, vorausschauende Politik gegenüber der EU ist das unmöglich. Der Bundesrat braucht eine klare, mutige Linie in der Europapolitik, die sie in Bern und Brüssel dezidiert vertritt. Hilflose öffentliche Erklärungen sind ein Zeichen der Schwäche.

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