Statt auf der Strasse wurde am Tag der Arbeit auf den Balkonen demonstriert: Gefordert wurden unter anderem höhere Löhne für das Pflege- und Verkaufspersonal. Die Gewerkschaften hätten aber auch die Menschen im Homeoffice im Auge, sagt Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB).
SRF News: Macht Sie der diesjährige 1. Mai traurig?
Daniel Lampart: Es ist alles etwas anders für uns und alle sind aufgewühlt. Das haben wir noch nie erlebt. Deshalb verzichteten wir auf Demonstrationen, obwohl es sehr viel zu demonstrieren gäbe. Dass die Arbeitslosigkeit so stark steigt, haben wir alle noch nie gesehen.
Man hat ein wenig den Eindruck, die Gewerkschaften konzentrierten sich auf ihre traditionell starken Bereiche. Was tun sie für die Menschen im Homeoffice?
Wir sind über die Verbände in regem Kontakt mit den Leuten, die zu Hause arbeiten. Als Erstes haben wir die Frage der Kinderbetreuung gestellt. Wir konnten einen Krisen-Elternurlaub durchsetzen, was vielleicht noch zu wenig bekannt ist: Wer zu Hause ist, Kinder betreuen muss und nur Teilzeit oder gar nicht arbeiten kann, hat vom Bund Anspruch auf einen Lohnersatz im Rahmen eines Elternurlaubs. So konnten wir die Lage für viele Leute erleichtern.
Wir konnten einen Krisen-Elternurlaub durchsetzen, was vielleicht noch zu wenig bekannt ist.
Andere arbeiten zu Hause zu viel – mangels fixer Arbeitszeiten und Kontrollen, und die Chefs fordern mehr. Wie schützt man diese Leute?
Tatsächlich ist der Druck auf einen Teil der Leute im Homeoffice ziemlich stark gestiegen. Insbesondere bei Arbeiten mit quantitativen Vorgaben wie etwa Kundenbetreuung und Produktverkäufen. Jeder weiss, dass das im Homeoffice nicht gleich gut geht wie am Arbeitsplatz. Es ist unfair vom Arbeitgeber, wenn er die gleichen Vorgaben wie im Büro oder am Schalter macht. Da machen wir uns grosse Sorgen.
Der Druck auf einen Teil der Leute im Homeoffice ist ziemlich stark gestiegen. Da machen wir uns grosse Sorgen.
Wer bezahlt Computer und Bürotisch? Müssten die Gewerkschaften jetzt nicht sehr viel Energie in den Bereich Homeoffice stecken?
Unsere Analysen sind gemacht und die Rechtsgrundlagen erarbeitet und überall aufgeschaltet. Das Problem ist im Moment die Durchsetzung. Es sind alle in einer Ausnahmesituation. Klar ist aber, dass im Homeoffice die gleichen Regeln wie im Büro gelten. Der Arbeitgeber muss das Arbeitsmaterial stellen und gewährleisten, dass die Leute gut arbeiten können.
Gäbe es da nicht ein grosses Potenzial an neuen Mitgliedern, gerade aus dem besonders betroffenen Dienstleistungssektor?
Wir sind sehr gefragt in der Krise und sehr viele unserer Verbände verzeichnen einen starken Zuwachs. So etwa beim Kabinenpersonal der Swiss, aber auch im Pflegebereich, bei Büroberufen und Bau. Wir haben aus allen Branchen mehr Anfragen. Wir machen das sehr gerne, stellen aber auch fest, dass es nicht überall gleich gut funktioniert. Gewisse Arbeitgeber haben einfach noch nicht begriffen, dass in der Krise Solidarität und Kulanz wichtig sind.
Gewisse Arbeitgeber haben einfach noch nicht begriffen, dass in der Krise Solidarität und Kulanz wichtig sind.
Der SGB will mit staatlichen Subventionen die Wirtschaft ankurbeln. Nützt das der stark exportabhängigen Wirtschaft?
Wir verlangten zu Beginn der Krise Lohngarantien als wichtigste Konjunkturmassnahme und haben viel erreicht. Bundesrat Parmelin hat das aufgegriffen. Aber es gibt jetzt eine Reihe von Problemen: Etwa dass bei Kurzarbeit nur 80 Prozent des Lohnes bezahlt werden, womit es bei Tieflohnbranchen wie dem Gastgewerbe zu knapp wird. Das wird das nächste Ziel sein, dass diese Menschen nach wie vor einigermassen ihr Einkommen haben. Das ist auch wichtig für die Wirtschaft, sonst gibt es ein riesiges Kaufkraftproblem.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.