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Tiefe Fallzahlen bei Kindern «Ich schicke meine Kinder mit einem guten Gefühl zur Schule»

Ist es aus medizinischer Sicht richtig und sinnvoll, jetzt wieder in die Schule zu gehen, obwohl das Coronavirus nicht besiegt ist? Marc Sidler, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in der Praxis, sagt Ja.

Marc Sidler

Facharzt für Kinder- u. Jugendmedizin

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Marc Sidler ist Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Oberarzt für Gastroenterologie am Universitäts-Kinderspital beider Basel ( UKBB ) und betreibt eine eigene Praxis.

SRF News: Sie selber haben drei Kinder zwischen 11 und 17 Jahren. Schicken Sie sie mit einem guten Gefühl in die Schule?

Marc Sidler: Ja, ich schicke meine zwei Kinder, die ab heute gemäss der Verordnung des Bundesrates wieder schulpflichtig sind, also der 11-jährige Sohn und die 14-jährige Tochter, mit einem guten Gefühl zur Schule.

Dann ist es richtig, unter den gegebenen Umständen an den obligatorischen Schulen wieder mit Präsenzunterricht zu beginnen?

Aus meiner Sicht ist es richtig, dass Kinder heute wieder zur Schule gehen können. Dies basierend auf den Fallzahlen von Kindern und Jugendlichen und dem gegenwärtigen Stand des Wissens. Kinder sind sehr selten infiziert und infizierte Kinder sind – das scheint mir fast noch wichtiger – selten Indexpersonen für die Weiterverbreitung des Virus, also nicht die sogenannten Treiber der Pandemie.

Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Der Virologe Christian Drosten in Deutschland sagt, es sei nicht sicher, ob Kinder das Virus nicht doch weitergeben. Was sagen Sie dazu?

Dazu müssen wir uns nochmals genauer die Fallzahlen von Kindern und Jugendlichen bis 14, 15 Jahre anschauen. Und diese sind in der Schweiz tatsächlich sehr niedrig. Wir zählen pro Altersjahr in der Bevölkerungsgruppe bis zu den 14-Jährigen maximal 20 Infizierte.

Die Eltern hatten das Virus zuerst.

Das heisst, das sind weit unter einem Prozent aller an Covid-19 erkrankten Personen in der Schweiz. Ein weiterer wichtiger Punkt ist: In verschiedenen Ländern, etwa in Australien, in den Niederlanden, aber auch in Schweden, gibt es Studien, die die Annahme unterstützen, dass Kinder die Pandemie in der Schule nicht unterhalten.

Ich kann auch eine persönliche Erfahrung hinzufügen: In den letzten acht Wochen, in denen ich mit Kindern zu tun hatte, die infiziert waren, war keines eine Indexperson, sondern sie wurden alle von ihren Eltern angesteckt. Die Eltern hatten das Virus zuerst.

Ist das nicht gerade deswegen so, weil die Kinder die letzten Wochen zuhause bleiben mussten und die Eltern arbeiten gegangen sind?

Das würde ich nicht so sagen. Natürlich, im Verlauf der nächsten Wochen müssen wir sehr genau beobachten, ob es jetzt tatsächlich dazu kommt, dass sich mehr Kinder anstecken. Deshalb hat das BAG auch die Kriterien für die Tests ausgeweitet. Ich gehe wegen der sehr tiefen Fallzahlen bei Kindern nach wie vor davon aus, dass sie nicht die Treiber der Pandemie sein werden oder nie waren.

Diese Erkenntnisse basieren aber doch auf dem Umstand, dass die Kinder in den letzten Wochen zuhause geblieben sind.

Was wir wissen von Studien und Beobachtungen aus anderen Ländern, die ich erwähnt habe: In Schweden zum Beispiel gingen die Schulen nie zu, und die unter 20-Jährigen haben sich deswegen nicht häufiger angesteckt als bei uns.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

SRF 4 News, 11.05.2020, 06:15 Uhr ; 

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