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Tourismus in der Krise Erstfeld vermisst seine Chinesen

Gäste aus China fehlen dieses Jahr – allerdings nicht nur in Luzern und auf dem Titlis, sondern auch an überraschenden Orten.

Erstfeld, Kanton Uri. Mit dem Bau des Gotthardtunnels im 19. Jahrhundert zum Eisenbahnerdorf geworden und bis heute geblieben, knapp 4000 Einwohner. Ein guter Ausgangspunkt für Wanderungen und Klettertouren. Aber ein Hotspot für Touristinnen und Touristen aus China?

Auf den ersten Eindruck kaum vorstellbar – schliesslich zieht es chinesische Reisegruppen auf ihrem Trip durch die Schweiz vor allem nach Luzern, auf den Titils oder aufs Jungfraujoch. Doch der Eindruck täuscht.

Erfolgsrezept: Keine Top-Destination, aber nah dran

Laut Bundesamt für Statistik verzeichnete Erstfeld 2019 knapp 11'000 Logiernächte – gut 10'000 davon gingen aufs Konto von chinesischen Gästen. Das macht Erstfeld schweizweit zum Ort mit dem höchsten Anteil von Touristinnen und Touristen aus China.

Auf Platz zwei lag Flüelen, ebenfalls im Kanton Uri: Hier waren 2019 rund die Hälfte der gut 12'000 Übernachtungen auf chinesische Gäste zurückzuführen. Auf den Plätzen drei und vier folgen Sins im Aargau und Buochs in Nidwalden, danach kommt Meiringen im Berner Oberland.

Das sind alles keine Top-Destinationen wie Luzern oder Interlaken. Aber sie liegen nicht weit von ihnen entfernt, mehr oder weniger direkt an den internationalen Verkehrsachsen. Das ist ihr Erfolgsgeheimnis.

Zumindest war es das.

Im Hotel wohnen nun wochenweise Bauarbeiter

Denn mit Ausbruch der Corona-Pandemie blieben nicht nur die Hotels in den Top-Destinationen leer, die stark auf den chinesischen Gruppentourismus gesetzt hatten – sondern auch in Erstfeld.

Das Hotel Frohsinn etwa, chinesische Schriftzeichen am Fenster, asiatische Lampions an der Decke. Noch im Januar luden hier täglich Reisecars chinesische Touristinnen und Touristen aus. Mit Corona brachen die Buchungen ein, die gut 80 Betten blieben leer.

Betreiber Rui Zhou – ein Altdorfer mit chinesischen Wurzeln – musste das Hotel zwischenzeitlich schliessen und Angestellte entlassen. «Es ist eine schwierige Situation», sagt er. Den «Frohsinn» hält er mit Mieterlass und Kurzarbeits-Entschädigungen über Wasser, die Zimmer vermietet er jetzt wochenweise an Bauarbeiter, die von auswärts ins Urnerland kommen.

Der Gemeinde fehlt ein fünfstelliger Betrag

Auch die Gemeinde spürt die fehlenden Gäste aus China: Die Kurtaxe, aus der über Jahr reichlich Geld in die Gemeindekasse sprudelte, wirft kaum noch etwas ab. «Da fällt ein fünfstelliger Betrag weg, das ist schon betrüblich», sagt Gemeinderätin Rebekka Wyler.

Da fragt sich, ob es richtig war, so stark auf chinesischen Gruppen zu setzen und sich in die Abhängigkeit eines einzigen Markts zu begeben. Doch Alternativen seien schwierig, sagt Gemeindrätin Wyler. «Wir sind nicht St. Moritz oder Gstaad, wir haben keine Gäste, die hier tagelang im Hotel logieren», sagt sie. Da dürfe man nicht wählerisch sein, wenn auf einmal chinesische Reisegruppen anklopften und über Jahre dann zuverlässig die Hotels füllten.

«Natürlich ist die jetzige Situation eine Chance, sich zu überlegen, wie wir sonst Gäste nach Erstfeld bringen könnten», sagt sie. «Aber es ist auch legitim, wenn die Hotels nach der Krise wieder auf chinesische Gäste setzen.»

«Sie kommen wieder»

Denn dass sie wieder kommen, daran zweifelt Rebekka Wyler keinen Moment. Auch Rui Zhou nicht. «Wir erhalten optimistische Signale aus China», sagt er. «Wahrscheinlich darf man ab März wieder aus China ausreisen. Und ich bin sicher: Sie kommen wieder hierher».

Regionaljournal Zentralschweiz, 7.10.2020; 17:30 Uhr

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