Vor einem Monat wurden in Genf fünf junge Frauen auf offener Strasse attackiert und verprügelt. Zwei von ihnen mussten mit schweren Kopfverletzungen ins Spital – eine lag mehrere Tage im Koma. Der Vorfall löste in der ganzen Schweiz Empörung aus.
Laut der Genfer Staatsanwaltschaft wurden die meisten der mutmasslichen Angreifer inzwischen identifiziert. Nur: Verhaftet wurde bisher keiner. Wie ist das möglich? «Diese Frage beschäftigt auch viele Genferinnen und Genfer», berichtet Westschweiz-Korrespondentin Barbara Colpi.
Die brutale Attacke sei den Menschen in der Calvinstadt immer noch sehr präsent: «Es macht sich grosser Unmut breit, weil die Täter nach wie vor auf freiem Fuss sind.» Die Bevölkerung sei zunehmend ungeduldig und könne nicht verstehen, warum es mit den Ermittlungen offenbar nicht vorangehe.
Scheinbar fehlen den französischen Behörden noch Beweise, die es erlauben würden, die Täter nicht nur festzunehmen, sondern auch in Untersuchungshaft zu behalten.»
Rund eine Woche nach den Vorkommnissen teilte die Genfer Justiz mit, dass die meisten Täter aufgrund von Videoaufnahmen identifiziert worden seien. Es handle sich um französische Staatsangehörige, die im grenznahen Frankreich wohnten. Deswegen stellten die Genfer Staatsanwaltschaft beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) den Antrag, das Verfahren an Frankreich abtreten zu können.
Die französischen Behörden wollten erst wieder informieren, wenn die mutmasslichen Täter festgenommen seien. Das Schweigen hält nach wie vor an. «Scheinbar fehlen den französischen Behörden noch Beweise, die es erlauben würden, die Täter nicht nur festzunehmen, sondern auch in Untersuchungshaft zu behalten», sagt Colpi. Die Voraussetzungen dafür sind in Frankreich strenger ausgestaltet als in der Schweiz.
Franzosen wollen «solides Dossier»
In der «Tribune de Genève» legte der ehemalige Genfer Polizeichef Jean Sanchez dar, es deute alles darauf hin, dass die französischen Behörden mit einem einzigen «Coup» einschreiten wollten. Allerdings: Den Tathergang genau abzuklären – etwa, wer zuerst zugeschlagen hat – sei ein aufwändiges Verfahren.
Das Dossier müsse «solid genug» sein, so Sanchez. Eine Videoaufnahme allein reiche nicht – es könnte dabei auch zu Verwechslungen kommen. In den sozialen Medien machen derzeit viele Genfer ihrem Unmut Luft, berichtet SRF-Korrespondentin Colpi: Wieder einmal werde auch das Klischee ausgegraben, wonach die Franzosen einfach unfähig sein, «mit Kommentaren teils weit unter der Gürtellinie.»
Affäre Maudet dominiert Genfer Politik
Das politische Genf kehrt derweil erst langsam aus der Sommerpause zurück; und diese endete mit einem veritablen Knall: «Die Affäre um Regierungsratspräsident Pierre Maudet dominiert derzeit die politischen Diskussionen», so Colpi.
Wenn das Kantonsparlament Ende September tagt, dürfte vor allem ein Thema zu reden geben: Die Aufhebung der Immunität von Pierre Maudet, damit ein Strafverfahren eröffnet werden kann. Colpis Prognose: Das Thema Gewalt an Frauen dürfte in den kommenden Wochen und Monaten nicht zuoberst auf der Prioritätenliste stehen.