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Über 8000 Corona-Tote Angehöriger: «Man darf ältere Menschen auch gehen lassen»

Der Vater von Urs Lang ist mit 86 Jahren an Covid-19 gestorben. Lang erzählt, wie es war und wie man unter Corona-Bedingungen trauert.

Das Foto auf dem Smartphone zeigt einen älteren Mann mit kariertem Hemd und Hosenträgern. Theo Lang blickt direkt in die Kamera, lacht. «Das ist mein Vater, wie er war», erzählt der 47-jährige Urs Lang. «Ein sehr fröhlicher Mensch, der sich immer Zeit für einen Schwatz nahm.»

Seit letztem Frühling zog sich der ehemalige Bauer aber zurück. Er blieb oft im Stöckli und ging auch nicht mehr ins Bauernhaus zum anderen Sohn und dessen Frau essen. Er, der zur Risikogruppe gehörte, habe die andern vor Covid-19 schützen wollen, erzählt Sohn Urs Lang.

Trotz Vorsicht krank geworden

Sein Vater habe darunter gelitten, dass er nur noch wenige Kontakte pflegen konnte, speziell darunter, dass er seine demente Frau im Pflegeheim nicht mehr besuchen durfte.

Trotz Rückzug wurde Theo Lang im Herbst krank. Er wurde immer schwächer, bis er nicht mehr richtig sprechen konnte. Die typischen Covid-19-Symptome fehlten jedoch. Eine Woche lang pflegte die Familie ihn daheim. Zusammen mit der Spitex-Angestellten und dem Hausarzt beschloss sie schliesslich, den Vater zu hospitalisieren.

Da war der Gedanke, dass es das letzte Mal ist, dass man ihn sieht.
Autor: Urs Lang Angehöriger

Ein schwieriger Entscheid, so Urs Lang. Er wusste, dass Besuche im Spital wegen Covid-19 nicht möglich waren. «Da war der Gedanke, dass es das letzte Mal ist, dass man ihn sieht.»

Erst im Spital wurde bei Theo Lang Covid-19 diagnostiziert. Der Vater sei ein Kämpfer gewesen, erzählt Urs Lang. Vor einigen Jahren habe ein Schlaganfall ihn in den Rollstuhl gezwungen. Der Vater aber habe gekämpft, habe wieder gehen gelernt.

Darum hatte Urs Lang Hoffnung, als sein Vater aus dem Spital anrief und wieder sprechen konnte. Hoffnung, die sich jedoch zerschlug. Denn plötzlich hatte Theo Lang Atemprobleme. Am Morgen des ersten Novembers verstarb er.

Abschied mit Corona-Massnahmen

Obwohl Urs Lang in Quarantäne war, durften er und seine Geschwister im Spital Abschied vom Vater nehmen. «Ein sehr wertvoller, aber zugleich auch seltsamer Moment» sei es gewesen, erzählt Urs Lang. Wegen der Corona-Massnahmen hätten er und seine drei Geschwister sich nicht in den Arm nehmen können.

An die Trauerfeier durften nur 30 Personen. Urs Lang musste auswählen, wer eingeladen wurde. «Es ist schon traurig, dass seine vielen Freunde, Verwandte und Bekannte einen anderen Weg finden mussten, um Abschied zu nehmen.»

Kein Groll gegen den Bund

Natürlich stelle man sich Fragen wie: Hätte man für den Vater mehr tun können oder müssten die älteren und die kranken Menschen besser geschützt werden? Schuldzuweisungen brächten aber nichts, ist Urs Lang überzeugt. Es sei schwierig, gegen Corona die richtigen Massnahmen zu treffen. Er habe grossen Respekt vor denen, die diese Entscheide treffen müssten, so Lang.

Ich bin der Überzeugung, dass man auch sterben darf.
Autor: Urs Lang Angehöriger

Bei einem 86-Jährigen müsse man damit rechnen, dass er sterben könnte – auch ohne Corona. «Ich bin der Überzeugung, dass man auch sterben darf», sinniert Lang, «dass man ältere Leute auch gehen lassen darf.» So sehr es schmerze, jemand Geliebtes zu verlieren, «es gehört zum Leben, dass es endlich ist».

Rendez-vous, 18.01.2021, 12.30 Uhr

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