Letztes Wochenende wurde in Biel ein Bub vermisst. Die Behörden haben eine Vermisstenmeldung über die sozialen Medien verbreitet. Schliesslich hat die Polizei den Jungen gefunden. Verschwindet jemand, werden auch oft private Fahndungsaufrufe im Internet, etwa auf Facebook, verbreitet. Solche Aufrufe werden rasch tausendfach geteilt. Die Betroffenen geben damit jedoch die Kontrolle aus der Hand, warnt Gabriele Berger von der Kantonspolizei Bern.
SRF News: Ist es nicht nachvollziehbar, dass besorgte Angehörige alles daran setzen wollen, die vermisste Person zu finden?
Gabriele Berger: Natürlich. Ich verstehe die grosse Besorgnis in einer solch extremen Situation. Aber so ein Aufruf im Netz ist heikel und kann für die betroffene Person schwerwiegende Nachteile haben. Die gesuchte Person ist vielleicht in einer grossen Krise und hat sich deshalb zurückgezogen.
Die Informationen werden für sehr lange Zeit im Netz gespeichert.
Wenn sie von der Suche erfährt, kann das die Krise verschlimmern. Möglicherweise kommt die Person aus Scham nicht zurück und meldet sich eine Weile nicht. Man muss auch bedenken, dass diese Informationen durch das tausendfache Teilen für sehr lange Zeit im Netz gespeichert werden.
Gibt es auch andere negative Folgen, die so ein Post, ein Eintrag auf Facebook, für die betroffenen Personen haben kann?
Ja. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Angehörige, die solche Posts absetzen, eine riesige Flut an Hinweisen erhalten. Viele davon sind nicht plausibel und auch nicht wahr. Es ist sehr belastend, wenn man all diese Hinweise bekommt und das Gefühl hat, man müsse diesen nachgehen, aber man schafft es nicht. Dies kann eine Situation zusätzlich verschlimmern.
Auch die Behörden suchen immer wieder nach vermissten Personen, manchmal auch mit Bild in den sozialen Medien. Animieren Sie so die Bevölkerung nicht selbst zu privaten Suchaktionen?
Ich hoffe nicht. Wir versuchen, mit Interviews und anderen Präventionsveranstaltungen immer wieder aufzuklären, was die Folgen sind. Wir wägen im Einzelfall immer ganz sorgfältig ab, welche Massnahmen zu treffen sind, ob die breite Öffentlichkeit um Mithilfe gebeten wird oder nicht.
Es kann sein, dass diese Massnahme ergriffen werden muss, auch wenn sie zahlreiche Nachteile hat.
Es kann sein, dass diese Massnahme ergriffen werden muss, auch wenn sie zahlreiche erhebliche Nachteile hat. Aber es gibt eine ganze Palette an Massnahmen. Es kommt jeweils darauf an, welche angebracht ist. Die Polizei hat grosse Erfahrung, prüft alles sorgfältig und agiert dann verhältnismässig.
Gibt es auch Situationen, in denen es durchaus Sinn ergibt, öffentlich mit einem Bild nach einer verschwundenen Person zu suchen?
Die gibt es. Zum Beispiel, wenn eine Person mit einer Demenzerkrankung vermisst wird. Man sieht dieser Personen nicht an, dass sie Hilfe braucht. Sie kann aber nicht für sich sorgen. Es ist Winter, vielleicht schon Nacht. Diese Person würde vielleicht erfrieren. In so einem Fall ist eine öffentliche Fahndung mit Bild sehr sinnvoll, weil man dann weiss, diese Person wird gesucht.
Bei einem vermissten Kind ist so ein Vorgehen wirklich angezeigt und sehr sinnvoll.
Oder auch bei einem Kind – nicht einem Kleinkind, bei dem man sich fragt, was macht das ganz allein auf der Strasse, sondern beispielsweise bei einem achtjährigen Kind – , das sich alleine auf den Weg gemacht hat. Auch in so einer Situation ist so ein Vorgehen wirklich angezeigt und sehr sinnvoll.
Das Gespräch führte Janis Fahrländer.