Wird von einem öffentlichen Verkehr (ÖV) mit Vorbildcharakter gesprochen, fällt oft der Name «Schweiz». Doch er stösst – gemeinsam mit dem Strassenverkehr – zunehmend an seine Grenzen. Sicht- und spürbar wird das während der Stosszeiten mit verstopften Strassen und chronisch überfüllten Zügen. Hinzu kommt laut Avenir Suisse: Das Verkehrssystem ist zu teuer.
Die Denkfabrik hat drei Strukturfehler ausgemacht: die massive Subventionierung mit Steuergeldern, die fehlende Preisdifferenzierung und Fehlleitung von Milliardenbeträgen. Statt Hauptverkehrsachsen zu entlasten, würden für Milliarden Franken Autobahnen auf Nebenstrecken gebaut.
Das Zauberwort für das Problem ist laut Avenir Suisse: Mobility Pricing. Sie fordert eine möglichst grosse Kostenwahrheit, sprich Preise berechnet nach dem Verursacherprinzip. «Wer mehr Mobilität konsumiert, sollte mehr zahlen», lautet die Prämisse.
Wie stellt sich Avenir Suisse das Modell des Mobility Pricing in der Schweiz vor? In einem Diskussionspapier präsentiert sie diverse Denkanstösse, wie es einen «wichtigen Beitrag zur Lösung der Verkehrsprobleme leisten kann».
Idee 1: Strassen-Maut – (Tunnel/City)
Vorbild für eine City-Maut ist Stockholm. Dort wurde die Gebühr für Fahrten in die Innenstadt und wieder heraus bereits 2006 erhoben. Die Preise variieren zeitlich, die Erfassung geschieht elektronisch. Das Resultat nach über fünf Jahren City-Maut: Der Verkehr nahm während der gebührenpflichtigen Zeit um bis zu 20 Prozent ab.
Abgaben für Tunnelfahrten sind in der Schweiz gemäss Bundesverfassung nicht vorgesehen. Zwei Ausnahmen gibt es in den Kantonen Wallis und Graubünden. Doch Tunnel zählen laut Avenir Suisse zu den teuersten Infrastrukturen und sind äusserst stauanfällig. Eine Maut würde Abhilfe leisten. Die Denkfabrik schlägt vor, alle Tunnel ab einer Länge von drei oder vier Kilometern Länge gebührenpflichtig zu machen. Am Gotthard-Tunnel liesse sich dieses System testen. Avenir Suisse denkt an variable Preise. An Tagen mit regelmässigen Staus wäre die Durchfahrt teurer als an Tagen mit geringer Nachfrage.
Idee 2: Alpentransitbörse und «Toll+»-System
Die Alpentransitbörse ist ein Steuerungsinstrument, dessen Einführung der Bund bereits geprüft hat. Alpenquerende Fahrten wären dann nur in begrenzter Anzahl verfügbar und würden versteigert. Allerdings lässt sich das System laut Avenir Suisse nicht mit EU-Recht vereinbaren.
Als Alternative käme das von Bundesrätin Doris Leuthard vorgeschlagene System «Toll+» in Frage. Es versteht sich als ein zeitlich gestaffeltes Gebührensystem für Transitfahrten – zu Hauptverkehrszeiten sind die Preise höher, zu Randzeiten niedriger.
Idee 3: Elektronische ÖV-Tickets
Was die Niederlande seit 2005 kennen, könnte nach Ansicht der Denkfabrik auch hier funktionieren: ein elektronisches Billett, welches das Ein- und Aussteigen registriert. In den Niederlanden gibt es verschiedene Tarifsysteme, was eine Anpassung der Tarifstruktur erforderte. Auch in der Schweiz müssten die Strukturen angepasst, die Preise differenziert werden.
Idee 4: Preisdifferenzierung
Die durchschnittliche Sitzauslastung der SBB liegt bei 26 Prozent. Wer morgens zwischen 7 und 9 Uhr und abends 17 und 19 Uhr Zug fährt, spürt davon wenig. Avenir Suisse moniert: «Für die ungleichmässige Auslastung werden die Steuerzahler gleich doppelt zur Kasse gebeten.» Zum einen verursache die niedrige Auslastung zu den Randzeiten Verluste im Betrieb. Zum anderen würde wegen der Staus zu Stosszeiten in «milliardenschwere Kapazitätserweiterungen» investiert. Genutzt würden diese aber nur etwa vier Stunden am Tag.
Deshalb, so sagt die Denkfabrik, müsse es ein Preissystem geben, wie es die Flug- oder Hotelbranche kennt: höhere Preise zur Hauptsaison, niedrigere in der Nebensaison und keine Subventionen.
Avenir Suisse schlägt zudem ein anderes System beim Generalabonnement vor: kein Senioren-GA mehr, dafür ein günstigeres Randzeiten-GA, ähnlich der 9-Uhr-Tageskarte vom Zürcher Verkehrsverbund. Das Problem des GA in seiner heutigen Form ist der zu niedrige Preis, der oft zu unnötigem Überkonsum führt.
Voraussetzung für ein funktionierendes Mobility Pricing ist die gleichzeitige Anpassung sowohl auf der Schiene als auf der Strasse. Andernfalls käme es laut Avenir Suisse zu einer Verkehrsverlagerung in die eine oder andere Richtung. Die Folge: erneute Engpässe.