Ein grosses Problem der Milizpolitik zeigt sich exemplarisch im Zürcher Stadtparlament. Seit Beginn der Legislatur im Jahr 2018 ist rund jedes vierte Ratsmitglied wieder aus dem Gemeinderat zurückgetreten. Das Hauptproblem dabei: fehlende Zeit. Aber auch längere Krankheiten oder die Erwartung von Nachwuchs kann zur Niederlegung des Amts führen.
Auch die Polit-Karriere von Stadtparlamentarierin Natascha Wey wurde auf die Probe gestellt, als sich Zuwachs in der Familie ankündigte. Die SP-Politikerin fehlte oft an Sitzungen, ein Rücktritt kam für sie allerdings nicht in Frage. Wey wandte sich in der Folge ans Kantonsparlament: Sie lancierte eine Behörden-Initiative und forderte den Kantonsrat auf, eine Lösung für das Problem zu finden. Ihr Vorschlag: Gemeindeparlamenten soll es ermöglicht werden, Stellvertreterlösungen zu schaffen.
«Darum prüfe, wer sich bindet»
Das Anliegen aus der Stadt Zürich fand im Zürcher Kantonsrat Gehör. Das Kantonsparlament entschied am Montag, die Behördeninitiative vorläufig zu unterstützen. Künftig soll es Lokalpolitikerinnen und -politikern möglich sein, in gewissen Situationen einen Ersatzmann oder eine Ersatzfrau einsetzen zu können.
Unterstützung für das sogenannte Suppleanten-System gab es im Kantonsparlament aus den unterschiedlichsten Lagern. Die Parlamente müssten mit der Zeit gehen, fand etwa die Alternative Liste AL. Aktuell funktionierten sie noch wie vor hundert Jahren. Eine Stellvertreter-Regelung sei nötig, damit Miliz-Parlamente die Gesellschaft richtig abbilden würden. Und die FDP fand, dass die Stadtparlamente im Kanton aber selbst entscheiden sollten, ob sie eine solche Ersatz-Regelung einführen wollen.
Kritik gab es von der SVP. In Anlehnung an Bibel und Schriftsteller Friedrich Schiller sagte Kantonsrätin Erika Zahler: «Darum prüfe, wer sich bindet. Auch bei der Wahl in ein Parlament.» Wer also in ein Parlament wolle, soll es sich vorher überlegen, ob er oder sie die Aufgabe wahrnehmen könne.
Die Ersatzbank als politische Nachwuchsförderung
Was in Zürich also nun eingeführt werden soll, ist in anderen Kantonen bereits gang und gäbe. Bislang kennen die Kantone Wallis, Graubünden, Neuenburg, Jura und Genf das Suppleanten-System. Im Kanton Aargau ist es Planung, und auch die Kantone Basel-Stadt und Bern arbeiten daran.
Bereits über jahrelange Erfahrung als Suppleantin verfügt die Walliser CVP-Politikerin Charlotte Salzmann-Briand. Sie nimmt an Sitzungen teil, falls eine Grossrätin oder ein Grossrat beruflich verhindert oder sie persönlich in einem Thema kompetenter ist. Das Know-how einer Fraktion werde so vergrössert, indem Ersatzmänner oder -frauen mit Fachwissen an den Sitzungen teilnehmen würden, sagt Salzmann-Briand. «Zudem ist es ein guter Start, um in die Politik einzutreten». Es sei schwierig, direkt Grossrätin oder Grossrat zu werden. Die Suppleanten-Liste steigere den Bekanntheitsgrad und erleichtere so den Einstieg.
Details: unklar!
Wie die politische Ersatzbank in Zürich dereinst ausgestaltet sein wird, ist nach dem jüngsten Entscheid des Kantonsrats noch nicht klar. Für Initiantin Natascha Wey ist bei der Umsetzung «wichtig, dass die Stellvertreterinnen und Stellvertreter demokratisch legitimiert sind, dass die Leute gewählt sind.» Aufzeigen, wie eine solche Lösung aussehen könnte, muss nun die Zürcher Regierung mit einem Bericht.