Die politischen Kräfteverhältnisse im Aargau sind seit Ende der Neunziger-Jahre relativ klar: Nach dem Untergang der Auto- beziehungsweise Freiheitspartei dominiert die SVP deutlich, sie hat den mit Abstand grössten Wähleranteil (2011: 34,7 Prozent). Es folgen die Sozialdemokraten, die bei den Wahlen 2003 erheblich verloren haben und seither um 18 Prozent herum pendeln. Bei den kantonalen Wahlen 2012 waren es sogar nur noch rund 15 Prozent.
Auch CVP und FDP sind seit Jahren auf der Verliererstrasse. Besonders hart traf es die CVP bei den letzten Wahlen 2011: Sie verlor damals zwei von ihren drei Mandaten, obwohl der Wähleranteil «nur» um knapp drei Prozentpunkte gesunken ist. Allerdings: Bei den kantonalen Wahlen 2012 konnten CVP und FDP wieder leicht zulegen, die FDP hat die Sozialdemokraten sogar knapp überholt.
Die «neue Mitte» seit 2011
Erstmals traten bei den nationalen Wahlen 2011 BDP und GLP an und holten damals auf Anhieb gut 6,1 beziehungsweise knapp 5,7 Prozent Wähleranteile. Beide Parteien besetzen seither ein Mandat im Nationalrat.
Die «neue Mitte» gewann ihre Wähleranteile auch auf Kosten von CVP, FDP und Grünen. Spannend ist nun die Frage, ob die kleinen Mitteparteien ihre Anteile halten können. Wahlen in anderen Kantonen deuten darauf hin, dass die hohen Wähleranteile von 2011 wohl nicht mehr erreicht werden.
Allerdings: Die bereits im Nationalrat vertretenen Parteien haben im Aargau eine relativ bequeme Ausgangslage. Weil die Bevölkerung im Kanton stark wächst, erhält der Aargau nämlich ein zusätzliches Mandat. Neu sind also 16 statt wie bisher nur 15 Sitze im Nationalrat zu besetzen. Einige Parteien hoffen denn auch, ein zusätzliches Mandat in Bern ergattern zu können.
Die Aargauer Vertretung im Nationalrat
Partei | Namen |
---|---|
SVP | Sylvia Flückiger-Bäni, Schöftland, seit 2007 Ulrich Giezendanner, Rothrist, seit 1991 Hansjörg Knecht, Leibstadt, seit 2011 Maximilian Reimann, Gipf-Oberfrick, seit 1987 (1995-2011 Ständerat) Luzi Stamm, Baden, seit 1991 Hans Killer, Untersiggenthal, seit 2007 (tritt nicht mehr an) |
SP | Max Chopard-Acklin, Nussbaumen, seit 2009 Yvonne Feri, Wettingen, seit 2011 Cédric Wermuth, Baden/Zofingen, seit 2011 |
FDP | Corina Eichenberger, Kölliken, seit 2007 Philipp Müller, Reinach, seit 2003 |
CVP | Ruth Humbel, Birmenstorf, seit 2003 |
Grüne | Geri Müller, Baden, seit 2003 (tritt nicht mehr an) |
BDP | Bernhard Guhl, Niederrohrdorf, seit 2011 |
GLP | Beat Flach, Auenstein, seit 2011 |
CVP in der Pole-Position
Die grössten Chancen auf diesen zusätzlichen Aargauer Sitz haben die Christdemokraten. Sie büssten 2011 überproportional Mandate ein und verloren gleich zwei Sitze. Esther Egger musste ihren Sitz räumen, der abgetretene Markus Zemp konnte nicht ersetzt werden: Gewerbeverbandspräsident Kurt Schmid schaffte den Sprung nach Bern nicht, trotz gleichzeitiger Ständeratskandidatur.
Der Wähleranteil der CVP «berechtigt» die Partei eigentlich zu zwei Sitzen. In der Listenverbindung mit SVP, FDP rechnet sich die CVP gute Chancen aus, diesen zweiten Sitz zu sichern. Allerdings: Verliert die CVP bei den Wahlen im Oktober und legt die SVP gleichzeitig zu, könnte der 16. Sitz auch an die SVP gehen. Die bürgerliche Listenverbindung wird aber ihr Ziel, den 16. Sitz zu holen, mit höchster Wahrscheinlichkeit erreichen.
Im Nachhinein könnte es sich als strategischen Fehler für die CVP herausstellen, dass sich nicht in der Listenverbindung in der Mitte mit GLP, BDP und EVP mitgemacht hat. Dort hätte sie den 2. Sitz praktisch auf sicher gehabt.
Spitzenkandidatin Ruth Humbel
Die CVP setzt auf die Stärke ihrer eigenen Kandidaturen: Die bisherige Nationalrätin Ruth Humbel ist national als Gesundheitspolitikerin bekannt und kandidiert auch für den Ständerat – mit intakten Chancen.
Für einen zweiten Sitz im Nationalrat sorgen sollen Bauernverband-Geschäftsführer Ralf Bucher aus dem Freiamt und Grossrätin Marianne Binder aus Baden. Beide politisieren bürgerlich, sie repräsentieren aber auch die Gegensätze Land und Stadt. Damit wollen die Christdemokraten im ganzen Kanton punkten können.
Hoffnung auf einen zusätzlichen Sitz oder zumindest auf Wählergewinne machen sich aber auch viele andere Parteien. Fast alle Fraktionen treten deshalb mit vielen Bisherigen an. Diese haben traditionell gute Chancen auf eine Wiederwahl.
FDP mit, SP ohne Zugpferd
Die FDP will vom Aufwind aus anderen Kantonen profitieren und will einen Wähleranteil von 15 Prozent erreichen, das wären 3.5-Prozentpunkte mehr als 2011, ein gewaltiger Satz. Die gesteigerten Wähleranteile bei den kantonalen Wahlen 2012 sprechen für den Freisinn. Mit Parteipräsident Philipp Müller hat sie dazu ein national bekanntes Zugpferd.
Müller kandidiert zudem durchaus Erfolg versprechend auch für den Ständerat, was ihm zusätzliche Präsenz im Wahlkampf gibt. Auch Nationalrätin Corina Eichenberger ist national als Militärpolitikerin bekannt und dürfte die Wiederwahl schaffen.
Bis im Mai war die FDP hervorragend unterwegs. Dann kam der Wirbel um die Berner FDP-Nationalrätin Christa Markwalder und ihre Kasachstan-Connection. In den Strudel gezogen wurde auch Parteichef Müller. Ihm wurde vorgeworfen, seine Parteikollegin vorschnell fallen gelassen zu haben.
Schadet diese Affäre der FDP und insbesondere dem Aargauer NR- und SR-Kandidaten Philipp Müller? Gewisse Experten rechnen mit einem Image- und damit Stimmenverlust für die FDP und Schaden für Müller. Andere meinen, im Herbst sei diese Affäre längst vergessen.
Die SP-Liste muss Pascale Bruderer kompensieren
Die Sozialdemokraten müssen im Nationalratswahlkampf 2015 auf ihr Zugpferd verzichten. Ständerätin Pascale Bruderer tritt wieder für das Stöckli an, auf der Nationalratsliste fehlt ihr Name, der bei den letzten Wahlen noch über 80'000 Stimmen generierte.
Trotzdem gibt sich die SP zuversichtlich: Mit den bisherigen Cédric Wermuth, Max Chopard-Acklin und Yvonne Feri werde man die drei Sitze halten können, heisst es. Dazu möchte die SP mit der Listenverbindungen mit den Grünen, der Piratenpartei und der Liste «Integrale Politik Aargau» verhindern, dass der zusätzliche Nationalratssitz ins bürgerliche Lager fällt.
Allerdings ist das ein eher unrealistisches Ziel. 2011 hatten SP und Grüne zusammen einen Wähleranteil von 25.3 Prozent. Das reicht gut, um die bisherigen 4 Sitze zu halten. Für einen 5. Sitz müsste der Stimmenanteil aber auf gegen 30 Prozent gesteigert werden.
Grüne müssen Geri Müller ersetzen
Die Grünen haben mit einer personellen Hypothek zu kämpfen: Geri Müller, der umstrittene Stadtpräsident von Baden und Nationalrat, tritt nicht mehr an. An seiner Stelle kandidiert nun die junge Grossrätin Irène Kälin auf Listenplatz 1, die auch in den Ständeratswahlkampf steigt.
Der ambitionierte Parteipräsident Jonas Fricker steht auf dem zweiten Listenplatz. Mit dieser Kombination wollen die Grünen ihren Sitz verteidigen. Die Aussicht auf einen Sitzgewinn ist allerdings gering, gerade auch, wenn man die Resultate der Grünen in anderen Kantonen betrachtet.
«Neue Mitte» hofft auf Sitzerhalt
Von Sitzgewinnen können auch BDP und GLP nur träumen. Die beiden neuen Mitteparteien haben sich zum Ziel gemacht, ihre beiden Mandate zumindest verteidigen zu können. Der bisherige BDP-Nationalrat Bernhard Guhl und der bisherige GLP-Vertreter Beat Flach treten deshalb beide auch im Ständeratswahlkampf an – ohne jegliche Chance.
Eine ähnliche Doppelstrategie verfolgt die EVP. Sie möchte den 2007 verlorenen Nationalratssitz von Heiner Studer mit dessen Tochter Lilian Studer wieder gewinnen. Auch Studer tritt deshalb parallel zum Ständeratswahlkampf an.
Dank der Listenverbindung BDP-GLP-EVP-SLB-Ecopop dürften BDP und GLP ihre Sitze auf sicher haben. Sie können massiv Stimmen verlieren und müssen trotzdem keine Angst vor einem Sitzverlust haben. EVP, SLB und Ecopop wird ihnen die fehlenden Stimmen liefern.
SVP kann ihre Sitze verteidigen
Entspannt in den Wahlherbst geht die SVP. Sie bringt fünf von sechs Bisherigen wieder auf die Liste und darf davon ausgehen, dass sie ihre Mandate in Bern locker halten kann.
Unter den Kandidaturen sind viele bekannte Namen. Ulrich Giezendanner holte bei den Wahlen 2011 fast 89'000 Stimmen und war damit der mit Abstand erfolgreichste Kandidat. Hinter ihm folgen auf der SVP-Liste unter anderem Luzi Stamm, Maximilian Reimann und Sylvia Flückiger. Hansjörg Knecht kandidiert zudem für den Ständerat.
Auch auf hinteren Listenplätzen hat die SVP Kandidaturen mit reellen Wahlchancen platziert. Den Hardliner und Fraktionspräsidenten Andreas Glarner zum Beispiel oder den Kantonalparteipräsidenten Thomas Burgherr. Nur der Bisherige Hans Killer tritt nicht mehr an. Trotzdem: Mit einem zusätzlichen, siebten Sitz rechnet auch bei der Volkspartei kaum jemand.
Damit bleibt es dabei: Die CVP kann sich die besten Chancen auf diesen zusätzlichen Sitz ausrechnen. Es sei denn, es gibt bis zum Oktober 2015 noch ein politisches Erdbeben im Kanton.
Regionaljournal Aargau Solothurn, 17:30 Uhr
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