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Fotomontage mit Emmanuel Macron und Marine le Pen
Legende: Macron (links) ist ein überzeugter Europäer. Le Pen (rechts) setzt auf Abschottung. Keystone / Reuters
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Wahlen in Frankreich Abschottung oder Reformen? Zwei Rezepte für den Arbeitsmarkt

Macron oder Le Pen: Die Franzosen stehen vor einer fundamentalen Entscheidung – auch über ihre wirtschaftliche Zukunft.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Der französische Arbeitsmarkt braucht dringend Reformen.
  • Die beiden Favoriten für das Präsidentenamt haben für dieselben Probleme gegensätzliche Rezepte.
  • Emmanuel Macron will angestossene Veränderungen weitertreiben.
  • Marine Le Pen würde international ausgerichtete französische Unternehmen vor grundsätzliche Fragen stellen.

Abschottung oder Flexibilisierung – die Wirtschaftsprogramme der Favoriten für die französische Präsidentschaft könnten kaum unterschiedlicher sein. Einig sind sie sich nur darin, dass Handlungsbedarf besteht. Denn Frankreich hat in den vergangenen Jahren an Wettbewerbsfähigkeit verloren – in erster Linie wegen seines starren Arbeitsmarkts. Die OECD mahnt in einer Studie von 2015: Der Reform des Arbeitsmarktes muss höchste Priorität zukommen.

Angestellte in Frankreich sind gut behütet. Mit einer gesetzlichen 35-Stunden-Woche, einem vergleichsweise hohen Mindestlohn von derzeit 9,76 Euro und einem starken Kündigungsschutz. Das französische Arbeitsgesetz, der «Code du Travail», umfasst 3000 Seiten. Zum Vergleich: Das Schweizer Arbeitsgesetz ist 32 Seiten dünn.

Arbeitsmarkt der zwei Geschwindigkeiten

Gut für die Angestellten ist das nur auf den ersten Blick. Denn Unternehmen haben kaum Luft zum Atmen. Sie haben nicht nur die höchste Steuerlast in ganz Europa – 63 Prozent –, sie können auch schnell vor Gericht landen, wenn sie eine Kündigung aussprechen. Vergebe man einen unbefristeten Vertrag, werde man einen Angestellten nie mehr los, heisst es.

Die Konsequenz: Unternehmer wollen sich möglichst wenig binden. So hat sich in Frankreich ein Arbeitsmarkt der zwei Geschwindigkeiten aufgebaut. Auf der einen Seite stehen die praktisch Unkündbaren. Auf der anderen Seite jene, die nur noch befristete Verträge erhalten. Fast 70 Prozent der Neuverträge laufen nach Angaben des Arbeitsmarkt-Instituts Dares Ende 2016 kürzer als einen Monat. Und nur 14 Prozent der Neuverträge sind unbefristet.

Neuverträge in Frankreich (4. Quartal 2016)

Unbefristet (CDI)
Befristet (CDD)
Auf weniger als einen Monat befristet
13,8 %
86,2 %
69,2 %


Quelle: Dares

Aber auch von einem Kurzvertrag (genannt «CDD», «Contrat a durée déterminée») können manche nur träumen. Die Arbeitslosenquote liegt in Frankreich bei knapp 10 Prozent. Besonders stark betroffen sind jene, die eigentlich die Zukunft des Landes sind: Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt 25 Prozent.

Emmanuel Macron will Freiheit für Unternehmen

Glaubt man den Prognosen, werden sich Emmanuel Macron und Marine Le Pen in der Stichwahl treffen. Auf der einen Seite steht dann der 39-jährige ehemalige Wirtschaftsminister, der sich keiner Partei zuordnen will. Er hat eine eigene Bewegung namens «En Marche!» ins Leben gerufen. Auf der anderen Seite befindet sich die Chefin der rechtsnationalen Partei Front National. Beide behaupten, die Arbeitslosigkeit senken zu können.

Emmanuel Macron will die 35-Stunden-Woche zwar im Gesetz belassen, jedoch sollen Branchen und sogar einzelne Unternehmen ihre Lösungen selbst aushandeln dürfen. Die Unternehmen sollen stärker von Sozialabgaben entlastet werden. Diese will Macron über eine höhere Vermögenssteuer finanzieren. Zudem plant er die Flut der Kurzverträge einzudämmen, indem er die Vergabe von unbefristeten oder längeren Verträgen finanziell attraktiver macht. Etwas, das bereits der amtierende Präsident begonnen hat.

Emmanuel Macron ist ein überzeugter Europäer. Er ist sich sicher, dass Frankreich nur im EU-Verbund zu wirtschaftlicher Stärke zurückfindet.

Marine Le Pen will den Markt abschotten

Ganz im Gegensatz zu seiner Kontrahentin Marine Le Pen. Die 48-Jährige setzt auf Protektionismus – ihr Rezept gegen Arbeitslosigkeit ist die Abschottung. Sie wehrt sich gegen Freihandelsabkommen, will die EU verlassen und zur alten Währung, dem Franc, zurückkehren. Die Inflation werde sich in Grenzen halten, sagt sie.

Unternehmen will sie mit Strafsteuern belegen, wenn sie nicht im nationalen Interesse arbeiten. In Marine Le Pens Auslegung heisst das: wenn sie Produkte aus dem Ausland importieren oder wenn sie Ausländer statt Franzosen einstellen.

Einschätzung von Frankreich-Korrespondent Michael Gerber

Eine Staatspräsidentin Marine Le Pen würde Frankreich kräftig durchschütteln. Der Ausstieg aus dem Euro könnte zu ernsthaften Turbulenzen auf den Finanzmärkten führen – erste Anzeichen dafür sind die bereits steigenden Zinsen für Staatsanleihen.

Grosse, global vernetzte französische Konzerne stünden vor der Frage, ob sie ihren Sitz oder einzelne Abteilungen ins Ausland verlegen sollen. Kleine, auf Importgüter angewiesene Unternehmen müssten neu kalkulieren, weil ihre Einkaufskosten plötzlich steigen würden. Profitieren würden Unternehmen, die in Frankreich mit französischen Rohstoffen für den Export produzieren: Ihr Produkte würden mit einem abgeschwächten Franc konkurrenzfähiger.

Ein Präsident Emmanuel Macron würde die Reformen fortsetzen, die François Hollande bereits im Arbeitsgesetz angestossen hat. Das gefällt vielen Unternehmern, die sich mehr Stabilität und Kontinuität wünschen.

Indem Macron Unternehmen mehr Freiheiten geben würde, würde er den Wirtschaftsstandort Frankreich stärken. Das dürfte die positiven Tendenzen auf dem Arbeitsmarkt verstärken: Handel, Gewerbe- und Dienstleistungsbetriebe schafften wieder neue Stellen. Industrie und Bau noch nicht. Sie könnten aber von weiteren Reformen profitieren.

Frankreich steht an einem Scheideweg. Die erste Wahlrunde findet am 23. April statt. Unwahrscheinlich ist, dass ein Kandidat mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen kann. Die Entscheidung fiele dann in der Stichwahl am 8. Mai.

Michael Gerber

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Michael Gerber

Michael Gerber ist Koordinator der Fachredaktion Ausland und Sonderkorrespondent. Von 2011 bis 2017 berichtete er als Korrespondent aus Frankreich. Zuvor war er Korrespondent in der Westschweiz und Redaktor und Reporter von «10vor10».

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