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Anklage gegen Ex-Banker Peter V. Kunz: «Vincenz drohen bis zu 10 Jahre Freiheitsstrafe»

Die Vorwürfe der Zürcher Staatsanwaltschaft gegen den Ex-Chef der Raiffeisenbank seien hart, sagt Wirtschaftsrechtler Peter V. Kunz. Es gehe um schwere Wirtschaftskriminalität.

Die Zürcher Staatsanwaltschaft hat fast zwei Jahre lang ermittelt, nun hat sie Anklage erhoben: Gegen Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz und Ex-Aduno-Chef Beat Stocker sowie gegen weitere Personen aus deren Umfeld.

Nun müssen die Richter darüber entscheiden, ob Vincenz und Stocker ihre damalige Position dazu missbraucht haben, der eigenen Firma zu schaden und sich persönlich zu bereichern. Die beiden Hauptbeschuldigten wurden im Juni 2018 aus der Untersuchungshaft entlassen.

Peter V. Kunz

Wirtschaftsrechtler

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Peter V. Kunz ist Professor für Wirtschaftsrecht der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern und war deren Dekan bis 2020.

SRF News: Wie schätzen Sie die Anklage der Zürcher Staatsanwaltschaft gegen Pierin Vincenz ein?

Peter V. Kunz: Es ist ein erstmaliger Vorgang in der Schweiz, dass ein ehemaliger Top-Banker vor einem Strafgericht angeklagt wird. Ich bin überrascht über die konkreten Strafvorwürfe, die gemacht werden. Auch über die Anzahl Personen, die nun eingeklagt werden.

Die Strafvorwürfe sind härter, als Sie erwartet haben?

In den letzten Jahren hat man vor allem über ungetreue Geschäftsbesorgung gesprochen. Das ist zwar auch Wirtschaftskriminalität, aber eher mittleren Ausmasses. Jetzt werden hingegen Urkundenfälschung, gewerbsmässiger Betrug und Ähnliches vorgeworfen. Das ist ein Vorwurf einer schweren Wirtschaftskriminalität.

Der Vorwurf der Zürcher Staatsanwaltschaft wegen gewerbsmässigen Betrugs zieht einen Strafrahmen von bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe vor. Das ist sehr hoch.

Ich bin nach allem, was man in den Medien über die letzten Jahre gehört hat, überrascht über diese harten Vorwürfe, die nun eine grosse Bedrohung für die Angeklagten mit sich bringen.

Was sagen Sie zum Vorwurf des gewerbsmässigen Betrugs?

Betrug als solches ist schon eine schwere Straftat, und hier ist der Vorwurf sogar Gewerbsmässigkeit. Das ist also fast der Vorwurf eines Berufskriminellen.

Urkundenfälschung bei einem Banker ist wohl eine der schlimmsten Möglichkeiten, die man ihm zum Vorwurf machen kann. In den letzten paar Jahre hat man eher über ungetreue Geschäftsbesorgung gesprochen. Das war zwar auch nicht schön, aber da hätte wahrscheinlich einen bedingten Strafvollzug nahe gelegt.

Heisst das also, dass Pierin Vincenz bis zu 10 Jahre ins Gefängnis drohen?

Bei erstmaligen Tätern wird normalerweise eine Freiheitsstrafe, wenn überhaupt, nur bedingt ausgesprochen. Wenn ich aber die Anzahl und die Schwere der Vorwürfe sehe, muss ich sagen, dass im Fall einer Verurteilung hier tatsächlich sogar eine reale Freiheitsstrafe drohen würde.

Natürlich sind das nur Vorwürfe und nichts ist bewiesen. Die Unschuldsvermutung gilt selbstverständlich auch für Herrn Vincenz und die übrigen Angeklagten.

Was können Sie zu den einzelnen Anklagepunkten sagen?

Die Anklage ist natürlich allgemein gehalten. Das kann alles oder nichts heissen. Das sind mal die Vorwürfe. Schlussendlich entscheidet aber nicht die Staatsanwaltschaft darüber, ob Vincenz oder andere Angeklagte verurteilt werden.

Deren Arbeit ist nicht erledigt, in dem sie jetzt einfach eine Anklageschrift vorlegt, sondern es wird ein langes Strafverfahren geben, mit persönlichen Befragungen vor Gericht. Und schlussendlich wird der Richter entscheiden müssen, ob hier Straftaten vorliegen oder nicht.

Die Staatsanwaltschaft lehnt sich sehr sehr weit zum Fenster raus. Man muss sich schon ziemlich sicher sein, dass man gute Beweismittel hat. Weil wenn es dann nicht zu einer Verurteilung kommt, ist das eine riesige Niederlage für die Staatsanwaltschaft.

Wie schätzen Sie die Chancen für eine Verurteilung von Pierin Vincenz ein?

Man muss sagen, dass die Staatsanwaltschaft in Zürich hier ziemlich hoch pokert. Es ist ein bekannter Fall, es geht um einen Angeschuldigten, den jedermann in der Schweiz kennt. Er war mehr als 100 Tage in Untersuchungshaft.

Sollte es tatsächlich zu einem Freispruch kommen, dann hätte die Staatsanwaltschaft also schon ein grosses Ei im Gesicht. Vor dem Hintergrund muss man sagen: Hier wird ein hoher Poker gespielt. Wie der ausgeht, kann heute schlicht niemand sagen, weil wir die Beweismittel nicht kennen.

Das Gespräch führten Harry Stitzel und Liz Horowitz.

Tagesschau, 3. November 2020 ; 

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