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Berufseinsteiger und Pandemie Die Jungen trifft es zuerst

Die Corona-Krise vermiest Berufseinsteigern den Karriere-Start. Praktika sollen nötige Berufserfahrung bringen.

Laura De Angelis (21) schloss im August ihre kaufmännische Lehre in einem Reisebüro in Luzern ab. Ihre Lehrstelle in einem der beliebtesten KV-Berufe erhielt sie trotz eines Sek-B-Abschlusses. Am Ende stand gar eine Berufsmatura.

Der Start in den Beruf blieb ihr jedoch verwehrt. Wegen der Coronakrise konnte ihr das Reisebüro keinen Job anbieten. Der negative Entscheid war für sie «eine Riesen-Enttäuschung».

Statt ihre Karriere zu starten, ist die junge Frau nun beim RAV angemeldet. Ihr ist bewusst, dass sie im Tourismus derzeit keine Stelle finden wird. Aber auch die Bewerbungen bei Unternehmen anderer Branchen haben bisher nicht gefruchtet.

Meist war fehlende Berufserfahrung der Grund für die Absage. «Das ist kein schönes Gefühl, wenn man sich so Mühe gibt und auch in der Schule seine Leistungen erbracht hat und dann keine Chance bekommt.»

Jeder 10. junge Mensch sucht eine Stelle

So wie Laura ergeht es derzeit vielen jungen Menschen. Die Erwerbslosenquote der 15- bis 24-Jährigen lag Mitte des Jahres saisonbereinigt bei über zehn Prozent.

Damit sind die Jungen doppelt so häufig von Erwerbslosigkeit betroffen wie der Durchschnitt aller Altersklassen.

«Junge trifft es in einer Krise immer zuerst», sagt Bildungsökonom Stefan Wolter von der Universität Bern. Zum einen ist es tatsächlich die mangelnde Berufserfahrung, welche sie bei der Jobsuche benachteiligt.

«Der andere Grund ist, dass in einer Krise keine Lücken auf dem Arbeitsmarkt entstehen, in welche Berufseinsteigerinnen und -einsteiger springen können, wie das üblicherweise der Fall ist. In einer Krise wechselt kaum jemand mehr die Stelle, und die Unternehmen schaffen auch keine neuen Stellen».

Jahrelanger Lohn-Nachteil

Wer in einer konjunkturell schwierigen Zeit auf den Arbeitsmarkt tritt, hat ein höheres Risiko, diesen Nachteil noch mehrere Jahre mitzuschleppen. Dies ist aus früheren Krisen bekannt.

Junge Frau sitzt auf Boden und arbeitet als Theatermalerin an einem Bild.
Legende: Abschluss ohne Einstieg: In Krisenzeiten sind junge Menschen besonders stark betroffen (Symbolbild). Keystone

Das kann sich beispielsweise in einem tieferen Lohn äussern, weil jemand eine Tätigkeit ausführt, für die er oder sie aufgrund der Ausbildung überqualifiziert ist.

Einen Tag vor Stellenantritt gekündigt

So wie Rebekka Schweizer (27). Sie ist froh, zumindest vorübergehend Arbeit zu haben, auch wenn diese nicht ihrer Qualifikation entspricht. Sie geht einer Projektleiterin mit Büroarbeiten zur Hand.

Ein Job, den Rebekka bereits während ihres Studiums an der Uni Bern ausführte. Im Sommer schloss die junge Frau ihr Psychologie-Studium mit einem Master ab.

Bereits zuvor bewarb sie sich bei einem Stellenvermittler. Nach einem aufwändigen Bewerbungsprozess erhielt Rebekka die Zusage, als Personal-Entwicklerin einsteigen zu können. Beginn: ein Montag im September.

Am Freitag zuvor bekam sie einen Anruf von der Firma. «Ich dachte, es gehe um die Schlüssel- oder Badge-Übergabe, aber dann teilten sie mir mit, dass mein Arbeitsvertrag per sofort aufgelöst sei wegen der Coronakrise. Das war ein Schock.»

Statt zu jammern rief Rebekka umgehend ihre frühere Chefin an. Tatsächlich war diese froh um Unterstützung. Zwei bis drei Wochen Arbeit erhofft sich die junge Psychologin von den Aufträgen. So lange will sie auch eine Anmeldung auf dem RAV hinauszögern.

Umso intensiver durchforstet sie den Stellenmarkt. «Es hat einige Stellen für Psychologinnen ausgeschrieben, aber meist wird mehrjährige Berufserfahrung vorausgesetzt.»

Schwieriger Wiedereinstieg nach Rückenproblemen

Reto Purtschert (27) ist seit einem Jahr arbeitslos, und dies trotz zweier guter Ausbildungen. Er absolvierte eine vierjährige Automatiker-Lehre und danach eine KV-Lehre in der Bank.

Retos Problem: ein doppelter Bandscheiben-Vorfall während seines Zivildienst-Jahres. Dieser führte dazu, dass der junge Mann 50 Prozent krankgeschrieben wurde. Das schreckte potenzielle Arbeitgeber ab. «Sie wussten nicht, wozu ich körperlich überhaupt noch in der Lage bin, und ob sich mein Zustand verschlechtern würde.»

Im Juni entschloss sich Reto zu einer Operation. Es war der richtige Entscheid. «Ich kann wieder alles machen wie früher, sogar Joggen ist möglich.» Nun, da er nicht mehr krankgeschrieben ist, kann er sich auch auf Vollzeitstellen bewerben.

Doch mitten in der Krise ist das ein schwieriges Unterfangen. Bisher konnte sich der junge Mann noch nirgends vorstellen.

Praktika statt Arbeitslosigkeit

Solche Schicksale bereiten Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Sorgen: «Wenn der Einstieg ins Arbeitsleben nicht gelingt, bedeutet dies nicht nur einen finanziellen Nachteil. Die Gefahr besteht, dass junge Menschen irgendwann einknicken, wenn sie das Gefühl haben, dass sie gar nicht gefragt sind.»

Das gilt es zu verhindern, darüber sind sich Fachleute einig. «Unternehmen, die ihre Lernenden nach Abschluss nicht behalten können, sollten versuchen, sie wenigstens befristet weiter zu beschäftigen», sagt Ursula Renold, Bildungsforscherin an der ETH Zürich.

Ins gleiche Horn stösst Daniel Jositsch, Präsident des Kaufmännischen Verbandes Schweiz. Er lancierte im Ständerat einen Vorstoss, der verlangt, dass Berufspraktika für Jugendliche von der Arbeitslosenkasse finanziert werden.

Wichtig sei, die Jungen im Arbeitsmarkt zu behalten und sie Berufserfahrung sammeln zu lassen. Das sei auch im Interesse der Wirtschaft, da den Unternehmen sonst in fünf Jahren die Fachkräfte fehlten.

ECO, 05.10.2020, 12.10.2020, 19.10.2020

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