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Panoramaansicht von Monaco samt Hafen.
Legende: Ein prominentes Beispiel für ein Steuerparadies ist der Zwergstaat Monaco. Imago
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Wirtschaft «Die Politik ist durch Kapitalflucht erpressbar geworden»

Fünf Jahre nach dem Ende der Weltwirtschaftskrise ist klar: Die Superreichen sind die Gewinner des Aufschwungs. Dies zeigt die Studie der NGO Oxfam. Für den Journalisten Harald Schumann liegt das Problem bei Steueroasen und übermächtigen Finanzkonzernen.

SRF News: Die Reichsten sind die Gewinner der Wirtschaftskrise. Wieso sind wir heute an diesem Punkt angelangt?

Harald Schumann: Weil es seit über 25 Jahren nicht gelingt, wesentliche Ursachen für die wachsende Ungleichverteilung der Einkommen und vor allem der Kapitaleinkommen zu tilgen. Dazu zählt zu allererst, dass wir immer noch mit Steuerflucht in so genannte Steueroasen – ich würde sie eher als Steuerfluchtzentren bezeichnen – zu kämpfen haben.

Wieso gelingt das nicht?

Weil die wachsende Ungleichverteilung leider auch dazu führt, dass diejenigen, die über solch grosse Vermögen verfügen, immer mehr Einfluss auf die Politik haben. Das Problem im modernen System ist, dass die Politik durch Kapitalflucht erpressbar ist. Deswegen sind vor allem kleinere Staaten immer mehr dazu bereit, grossen internationalen Unternehmen Steuerfluchtmöglichkeiten anzubieten, um wenigstens ein kleines Stück vom Kuchen abzubekommen. Unter dem Strich leiden die gesamte Menschheit und die Gemeinschaft der Staaten darunter.

Die grossen transnationalen Finanzkonzerne sind heute mächtiger als je zuvor.

Wie gross ist aktuell der Einfluss der reichsten Konzerne auf die Politik?

Sehr gross. Zwei starke Symptome kann man dafür ablesen: Das eine ist die Tatsache, dass wir seit 25 Jahren über Steuerfluchtzentren reden und sie trotzdem immer noch existieren. Dies beweist, dass es sehr, sehr mächtigen Einfluss und Kräfte gibt, sie zu erhalten. Dieser Einfluss geht ganz bestimmt nicht von den Regierungen der Zwergstaaten aus.

Ein zweiter wichtiger Indikator dafür für ihren starken Einfluss ist die Tatsache, dass wir 2008/2009 die grösste Wirtschaftskrise seit 1930 erlebt haben, ausgelöst durch eine völlig ausser Rand und Band geratene Finanzindustrie. Bis heute ist es nicht gelungen, wesentliche Kernpunkte notwendiger Reformen umzusetzen. Hier zitiere ich gerne Bundeskanzlerin Merkel: Sie sagte 2009, «nie wieder darf es dazu kommen, dass Banken und Finanzkonzerne so gross sind, dass sie Regierungen erpressen könnten.» Dies sei der wichtigste Punkt, sagte Merkel. Heute hat sich an diesem wichtigsten Punkt nichts geändert. Im Gegenteil: Die grossen transnationalen Finanzkonzerne sind trotz der Finanzkrise heute mächtiger als je zuvor.

Heute regieren also die grossen multinationalen Konzernen und nicht die Politik.

In der Tat regieren diejenigen, die über grosse Mengen an Kapital verfügen, dieses zwischen verschiedenen Staaten verlagern und dadurch massiven Druck auf die Politik ausüben können.

Allein die Konzernsteuerflucht kostet nur die Entwicklungsländer jedes Jahr zwischen 100 und 200 Milliarden Dollar pro Jahr.

Die NGO Oxfam verlangt jetzt, dass die Steuerparadiese abgeschafft werden. Nur so werde der jetzige Zustand verändert. Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden?

Unbedingt. Das ist eine Conditio sine qua non. Erst wenn die Steuerfluchtzentren trocken gelegt sind, können wir überhaupt anfangen, wieder richtige Politik zu machen, weil dann die ausreichenden Mittel wieder zur Verfügung stehen. Allein die Konzernsteuerflucht kostet nur die Entwicklungsländer jedes Jahr zwischen 100 und 200 Milliarden Dollar pro Jahr. Die private Steuerflucht kostet jährlich mindestens 150 bis 190 Milliarden Dollar. Wenn man dieses Geld zur Verfügung hätte, um es in den Umbau der Energiewirtschaft, in eine bessere Ausbildung für junge Leute oder in eine naturverträglichere Landwirtschaft zu investieren, könnten wir unseren Planeten fit für die Zukunft machen.

Es ist leider auch die Trägheit der Bürger, die dazu führt, dass es immer so weitergeht.
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Immer grösser - die Kluft zwischen Arm und Reich
aus Rendez-vous vom 18.01.2016. Bild: Symbolbild Keystone
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Was braucht es noch, damit die Kluft zwischen Arm und Reich nicht noch grösser wird?

Wenn die Steuerfluchtzentren nicht mehr zur Verfügung stehen, braucht es danach dringend eine globale Vereinbarung über einen Mindeststeuersatz auf Kapitalgewinne und eine Vereinbarung darüber, dass transnational operierende Unternehmen ihre Steuern dort zahlen, wo auch ihre Wertschöpfung stattfindet; sprich da wo sie real investiert haben und ihre Arbeitnehmer beschäftigen. Dazu ist es aber auch notwendig, dass die Zivilgesellschaft und die Steuerbürger ihrerseits die Politiker blossstellen, die an diesem Wettbewerb der Staaten um den Steuerkuchen immer noch weiterkurbeln. Es ist leider auch die Trägheit der Bürger, die dazu führt, dass es immer so weitergeht.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

Harald Schumann

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Harald Schumann
Legende: Imago

Schumann ist Redaktor beim Berliner «Tagesspiegel». Er beschäftigt sich seit den Neunzigerjahren mit der Globalisierung und der Finanzindustrie. Bekanntheit erlangte er durch den Bestseller «Die Globalisierungsfalle», welchen er gemeinsam mit Hans-Peter Martin verfasste.

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