Eine schwierige Aufgabe: Glaubt man den Konjunkturforschern, wächst die Schweizer Wirtschaft bis Ende Jahr mit 2,3 Prozent. Doch wem nützen eigentlich solche Prognosen? Wer braucht sie unbedingt? Und was taugen sie?
Für den ehemaligen Chefökonomen der UBS Klaus Wellershoff und einige Kollegen waren Prognosen der Grund, den Job bei der Bank an den Nagel zu hängen und eine eigene Firma zu gründen: «Weil ich die Schnauze voll davon hatte, Prognosen abgeben zu müssen, die man gar nicht machen kann», sagt Wellershoff.
Ich hatte die Schnauze voll, Prognosen abgeben zu müssen, die man gar nicht machen kann.
Alle machen es: Anders sieht dies Heiner Flassbeck, der in Hamburg Ökonomie lehrt. 20 Jahre lang hat er als Chefökonom der UNO-Organisation für Handel und Entwicklung Wirtschaftsprognosen gemacht. Flassbeck kritisiert zwar, dass viele Prognosen zu wenig wissenschaftlich gemacht würden. Trotzdem findet er, schlechte Wirtschaftsprognosen seien besser als gar keine: «Wie sollte man darauf verzichten können? Jedes Unternehmen macht einen Jahresplan und unterstellt bestimmte Entwicklungen. Dass das dann oft falsch ist und korrigiert wird, ist vollkommen klar.»
Schlechte Wirtschaftsprognosen sind besser als gar keine. Korrigieren muss man immer wieder.
Staat, Firmen und Investoren müssten sich ja an irgendetwas orientieren können, um beispielsweise Steuereinnahmen abzuschätzen, Lager zu bewirtschaften oder am Finanzmarkt tätig zu sein, findet Flassbeck.
Teure Fehlprognosen: Das Bedürfnis nach Orientierung versteht Wellershoff auch. Und auf kurze Frist – für drei bis sechs Monate – hält auch er es für möglich, die Entwicklung von Produktion, Zinsen, Arbeitslosigkeit und weiterem abzuschätzen. Grundsätzlich aber seien Prognosen Rituale, an die man sich gewohnt habe und die mit der Zeit abgelegt werden müssten, weil es ganz häufig Fehlprognose gebe: «Denken Sie doch mal daran, was meine Kollegen nach der Aufhebung der Untergrenze des Wechselkurses im Jahr 2015 gesagt haben. In meiner Wahrnehmung haben die meisten eine Rezession prognostiziert, die dann nicht gekommen ist. Wahrscheinlich haben viele Leute dann falsche Pläne gemacht.»
Wer falsche Pläne macht, kann viel Geld verlieren. Was ökonomische Fehlprognosen in der Vergangenheit gekostet haben mögen, ist nicht feststellbar. Damit es möglichst nicht zu falschen, teuren Unternehmens- oder Anlageentscheiden komme, müssten vor allem konjunkturelle Trendwenden erkannt werden, sagt Martin Jetzer. Er war Jahrzehnte lang Chefökonom der Grossbank HSBC und auch er hat heute seine eigene Firma.
Knackpunkt Trendwende: Wendepunkte in der Konjunktur vorauszusehen sei das Schwierigste an der Prognostiziererei, sagt der Ökonom. Die entscheidende Frage für die längerfristige Planung, die Politiker, Unternehmer und Anlageberater wissen müssten, umschreibt er wie folgt: Wann geht der Konjunkturboom weiter, wann ist Ende Feuer? «Ich kann aus Erfahrung sagen und es wird auch durch empirische Untersuchungen bestätigt: Die Prognosequalität ist diesbezüglich ausserordentlich schlecht.»
Die Prognosequalität bezüglich Trendwenden ist ausserordentlich schlecht.
Die Angst vor dem eigenen Mut: Zum einen sei dies so, weil Wendepunkte in der Konjunktur oft sehr plötzlich kämen. Zum anderen sei die Prognosequalität bezüglich Trendwenden auch schlecht, weil die meisten Prognostiker durch die vorangegangene Entwicklung und den Trend befangen seien. «Sie wagen es meistens nicht vorauszusagen, dass die Dynamik nun plötzlich kippt», stellt Jetzer fest .
Die Begründung dafür ist simpel: Auch Ökonomen fühlen sich wohler, wenn sie nicht zu stark von der Konsensmeinung abweichen. Denn tut man das und liegt falsch, kann es persönliche Konsequenzen haben. Wer mit der grossen Gruppe schwimme, so Jetzer, trage kein Risiko. Die Folgen von falschen Prognosen tragen ja eben andere.