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Künstliche Intelligenz Die digitale Bildungslücke

Wie bereitet man Kinder auf eine Zukunft vor, in der fast nichts mehr so sein wird, wie es war?

Automatisierte Callcenter, sich selbst vervollständigende E-Mails, Übersetzungs-Tools – selbst agierende Programme dringen nach und nach in jeden Bereich unseres alltäglichen Lebens.

Forscher rechnen mit wenigen Jahrzehnten, bis künstliche Intelligenz zu grossen Umwälzungen geführt haben wird.

Es ist nicht nur eine philosophische Diskussion.
Autor: Yuval Harari Historiker

Für den israelischen Historiker Yuval Harari stellt diese Geschwindigkeit die Gesellschaft vor ein grosses Problem. Im Vergleich zu früheren Jahrhunderten hätten wir heute keine Ahnung, «wie der Arbeitsmarkt oder sogar der menschliche Körper in 30 oder 50 Jahren aussehen wird», sagte er bereits in der «Sternstunde Philosophie» 2017.

«Das hat viele praktische Folgen. Es ist nicht nur eine philosophische Diskussion. Wir haben zum Beispiel keine Vorstellung davon, was wir den Kindern diesbezüglich in der Schule beibringen sollen, denn wir wissen schlichtweg nicht, in was für einer Welt sie in 30 Jahren leben werden.»

Was also lehren wir Kinder für diese Zukunft voller Fragezeichen? Im «ECO Talk» sind sich sowohl die KI-Unternehmer Arijana Walcott und Pascal Kaufmann als auch Schriftsteller und Philosoph Jonas Lüscher einig: Es ist nicht wichtig, dass jeder programmieren kann. Auch müsse man nicht versuchen, mit Computern in Konkurrenz zu treten.

«Ich denke, man sollte eher in die Bereiche investieren, in denen Maschinen schlecht sind», sagt Pascal Kaufmann, der das Unternehmen Starmind gegründet hat, «zum Beispiel die richtigen Fragen zu stellen, das Denken schulen, Neues, Kreatives schaffen. Wenn die Schüler und Studenten heute lernen, welcher Römer welchen anderen Römer erschlagen hat oder wie man programmiert, dann ist das die falsche Strategie.»

Es geht nicht darum, Kinder auf die Bedürfnisse der Wirtschaft abzurichten.
Autor: Jonas Lüscher Schriftsteller

Jonas Lüscher, dessen preisgekröntes Buch «Kraft» im Silicon Valley spielt, hält es für problematisch, dass Bildung und Ausbildung in naturwissenschaftlich-technischen Fächern auf Kosten geisteswissenschaftlicher Disziplinen einen Aufschwung erlebt haben.

«Das Entscheidende ist, dass wir am Humboldtschen Bildungsideal festhalten: Dass wir sagen, Bildung ist ein Prozess der Selbstermächtigung. Das ist ein langer Prozess und dient eben nicht der Ausbildung. Es geht nicht darum, Kinder abzurichten auf die Bedürfnisse der Wirtschaft oder vorauszusehen, was wir in 20 Jahren für Jobs haben werden.»

Empathie und Kreativität – das sind die Schlüssel-Fähigkeiten, in denen viele die Zukunft sehen, etwa der chinesische KI-Forscher Kai-Fu Lee. In zahlreichen Publikationen und Vorträgen zeigt er auf, welche Jobs seiner Meinung nach akut bedroht sind. Dazu gehören:

  • Kundenbetreuer
  • Tellerwäscher
  • aber auch Medizin-Spezialisten wie Radiologen und Hämatologen

Zukunftsträchtig sind Berufe wie:

  • Psychiater
  • Literaten
  • Manager

Mehr Sozialkompetenz

Die Grundlagen für vielversprechende Jobs müssen aber bereits in der Schule vermittelt werden. Deshalb ist für Beat Döbeli von der Pädagogischen Hochschule Schwyz klar: «Wenn der Computer immer mehr übernimmt, wenn immer mehr automatisiert werden kann, dann muss sich die Schule um das kümmern, was nicht automatisierbar ist.»

Dies bedeute, dass man trotz Digitalisierung beispielsweise mehr Theater spiele. So könne man Sozialkompetenz und Kreativität üben. «Das sind überfachliche Kompetenzen», so der Leiter Institut für Medien und Schule, «diese werden auch wichtig sein für die Berufe, welche erst noch erfunden werden.»

Bis zu zwei Drittel aller Primarschüler werden in Berufen arbeiten, die heute noch nicht erfunden sind.

Neuland für Lehrer

Um die Kinder von heute fit zu machen für die digitale Welt von morgen, braucht es aber entsprechend ausgebildete Lehrer.

«Als man Englisch eingeführt hat, konnten die meisten Lehrer bereits Englisch, und wir mussten nur das Didaktische beibringen», so Beat Döbli. «Im Bereich Medien und Informatik müssen wir sehr oft Lehrer zuerst fachlich weiterbilden, bevor wir über das Didaktische diskutieren können.»

Künstliche Intelligenz wird Lehrer nicht verdrängen

Die Belastung für die Lehrer nimmt weiter zu. Und es wird in Zukunft einer der wenigen Berufe sein, welche nicht von einer künstlichen Intelligenz übernommen werden können: «Ich bin sehr überzeugt, dass Kinder durch Beziehungen lernen», mein Lehrer Christof Tschudi.

Medien und Informatik im neuen Lehrplan 21

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Mit dem Lehrplan 21 werden Primarschüler künftig in den Bereichen Medien und Informatik sowie in der Anwendung von Computern Kompetenzen aufbauen, die bislang in dieser Breite nicht vermittelt worden sind.

Einzelne Kantone haben den neuen Lehrplan bereits eingeführt, andere werden in diesem Jahr folgen. Insbesondere in der 5./6. Klasse bringt dieser Lehrplan mit der Informatik neue Inhalte.

Obwohl dies quasi der Einführung eines neuen Fachs gleichkommt, gibt es etwa im Kanton Schwyz dafür vorerst keine eigenen Lektionen. Medien und Informatik werden den Fachbereichen Deutsch bzw. Mathematik zugeteilt.

«Wenn niemand mehr da ist, der sich interessiert, was sie lernen, verlieren sie irgendwann die Motivation. Sie brauchen mich als Coach, der hilft und unterstützt und sie auch mal lobt.»

Ohne das grosse Engagement der Lehrer wird es die Schule und damit auch die Gesellschaft nicht schaffen, die Kinder von heute für die Arbeitswelt von morgen fit zu machen.

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