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Milliardengeschäft Olympia Athleten mit Hungerlöhnen kämpfen gegen reiche Sportverbände

Weltmeister oder Olympia-Medaillengewinnerin - und trotzdem kaum Geld: Nun verklagen Athleten IOC und Sportverbände.

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) nimmt dank Olympischer Spiele Milliarden Dollar ein; die teilnehmenden Athleten und Athletinnen verdienen fast nichts, selbst wenn sie zur Weltspitze gehören.

Sportfunktionäre erhalten an Grossanlässen Taggelder von 500 bis 800 Dollar bezahlt, Sportler bekommen 800 Euro für eine Goldmedaille.

Nun beginnen die Spitzenathleten, sich gegen internationale Sportverbände zu wehren.

Max Hartung ist Weltmeister im Säbelfechten, Olympiateilnehmer und Sprecher des Vereins «Athleten Deutschland».

Er sagt: «Ich bin in London 2012 und Rio 2016 angetreten. Ich habe beide Male überlegt, mit dem Sport aufzuhören aus Sorge, mir das nicht mehr leisten zu können. Und wenn man da gerade mitgemacht hat – im Endkampf war, im Fernsehen zu sehen war – dann denkt man sich: ‹Hey, das kann doch nicht sein, dass ich da überhaupt nicht mitverdiene, und dass ich mir nicht leisten kann, meinen Sport auszuüben. Da muss etwas ungerecht sein.›»

Athleten fordern ein Viertel der IOC-Einnahmen

So fordern die «Athleten Deutschland», dass das IOC ein Viertel der Einnahmen aus olympischen Spielen an die teilnehmenden Athletinnen und Athleten ausbezahlt.

Im Olympiajahr 2018 hat das IOC 2,2 Milliarden Dollar eingenommen, davon 1,4 Milliarden aus Fernsehrechten. Der Jahresgewinn betrug 185 Millionen Dollar.

Doch von einer Ausschüttung an die Athleten will es derzeit nichts wissen.

Der Journalist Jens Weinreich recherchiert seit 20 Jahren im olympischen Sport und begrüsst die Forderung der Athleten.

«Es kann nicht sein, dass diejenigen, die das Geschäftsmodell am Leben erhalten mit ihrem Blut und Schweiss, mit ihren Träumen, ihrer Kraft und ihrem Engagement, dass die immer hinten runterfallen», sagt er.

Ebenfalls einen Kampf gegen seinen Sportverband führt Eisschnellläufer Niels Kerstholt aus den Niederlanden.

2014 wollte ein privater Investor einen neuen Event lancieren: «Ice Derby» – ein Eisschnelllaufrennen über 220 Meter, bei dem Kurz- und Langbahn-Läufer gegeneinander antreten. Startgeld: 30'000 Dollar. Preisgeld: 1,4 Millionen Dollar.

«Allein das Startgeld ist mehr, als man beispielsweise vom IOC erhält. Eisschnellläufer könnten mit einem einzigen Event ein Jahreseinkommen erzielen», sagt Niels Kerstholt.

800 Euro für eine WM-Goldmedaille

2014 hatte Niels Kerstholt WM-Gold gewonnen und dafür ein Preisgeld von 800 Euro erhalten. «Das ist nichts», sagt er, der heute Jugendliche trainiert.

Doch am lukrativen «Ice Derby» hat er nie teilgenommen; dieses hat auch nie stattgefunden.

Denn der Weltdachverband, die internationale Eislauf-Union (ISU) mit Sitz in Lausanne, drohte damit, Athleten lebenslang zu sperren, sollten sie am Event teilnehmen.

Eine solche Sperre bedeutet insbesondere: keine Teilnahme mehr an Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften, denn der Weltsportverband alleine bestimmt, wer dort teilnimmt und wer nicht.

«Zuerst machte es mich wütend», sagt Niels Kerstholt: «Ich wollte der ISU zeigen, wie viele Schulden ich wegen meiner Karriere gemacht habe, wie viel Geld ich als Athlet verdiene.»

Dann verklagte er die ISU bei der EU-Kommission wegen Verletzung des Kartellrechts.

«Als Athletin nicht viel Zeit, Geld zu verdienen.»

Ähnlich erging es der Ungarin Katinka Hosszú, dreifache Olympiasiegerin und 24-fache Weltmeisterin.

Sie sollte Aushängeschild einer neuen Schwimmserie werden, der International Swimming League – initiiert von einem privaten Geschäftsmann, der hohe Start- und Preisgelder versprach.

Katinka Hosszú hätte gerne teilgenommen: «Als Athletinnen haben wir nicht so viel Zeit, um Geld zu verdienen. In dieser kurzen Zeit möchten wir so viel Geld verdienen wie möglich. Ich fände es schön, so viel Geld zu verdienen wie Fussballer.»

Doch auch daraus wurde vorerst nichts. Denn auch der Weltschwimmverband (FINA) mit Sitz in Lausanne hat gedroht, Athletinnen und Athleten für Weltmeisterschaften und Olympische Spiele zu sperren, sollten sie teilnehmen.

Nun hat Katinka Hosszú zusammen mit US-Schwimmern die FINA in den USA verklagt wegen Verletzung des Kartellrechts. Der Fall ist derzeit hängig.

IOC-Präsident Thomas Bach beschwert sich

Eisschnellläufer Niels Kerstholt ist bereits weiter. Seine Klage bei der EU-Kommission hatte Erfolg.

Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager begründete es wie folgt: «Organisatoren können keine Events auf die Beine stellen, wenn Top-Athleten mit Sperren bedroht werden. Das heisst: Nur die ISU und ihre Mitglieder können internationale Speedskate-Rennen organisieren.»

Und: «Es ist ein extremer Fall, dass jemand lebenslang gesperrt wird in dem, was er als professioneller Athlet am besten kann.»

Schliesslich stellte sie klar: «Auch ein Sportverband muss europäisches Wettbewerbsrecht einhalten.»

Die ISU hat den Entscheid an den Europäischen Gerichtshof EuGH weitergezogen.

Das Urteil der Wettbewerbskommission ist damit noch nicht rechtskräftig, sorgt aber für Ärger in der Sportwelt.

Thomas Bach, als IOC-Präsident oberster Sportfunktionär der Welt, sagt dazu, er habe nichts gegen private Anbieter, aber es sei «überhaupt nicht fair, dass immer mehr staatliche Behörden den Unterschied ignorieren zwischen rein kommerziellen Unternehmen und uns als wertebasierter Organisation.»

Dabei hat auch das IOC milliardenschwere, kommerzielle Interessen, die es mit aller Härte durchsetzt.

Damit war Max Hartung anlässlich der Olympischen Spiele in Rio konfrontiert: «Ich habe ein dickes Paket Papiere bekommen, als ich an den Olympischen Spielen in Rio angetreten bin. Und da waren ganz viele Verbote, wie Hashtags, die man in sozialen Medien nicht verwenden durfte, etwa ‹Sommer› oder ‹Medaille›. Man durfte nicht filmen vor Ort, und die Wettkampfstätten durften nicht zu sehen sein.»

Jahrelang hatten ihn seine eigenen Sponsoren finanziell unterstützt – doch mit ihnen werben durfte er während der olympischen Spiele nicht. Ansonsten hätte ihm der Ausschluss gedroht.

Jahrelang haben IOC und Weltsportverbände finanziell davon profitiert, dass sie ihren eigenen Sponsoren teure Exklusivität verkauft haben zu Lasten der Athleten.

Doch Max Hartung und seine Mitstreiter verklagten das IOC beim deutschen Bundeskartellamt, mit Erfolg: Nun dürfen deutsche Athleten an olympischen Spielen ihre eigenen Sponsoren bewerben – anders als ihre Kollegen aus anderen Ländern.

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