Sein zweites Buch sei viel besser als sein erstes, witzelt der französische Ökonom zu Beginn des Gesprächs. Dann wird er ernst, wie es sich für den Autor eines 1000 Seiten schweren Buches gehört. «Mein Buch ist eigentlich ein positives», sagt er. Es zeige nämlich, dass Reichtum seit der Französischen Revolution historisch nicht immer gleich stark in wenigen Händen konzentriert gewesen sei – aber die Entwicklung sei nicht linear.
So habe sich der Graben zwischen Reich und Arm in den letzten 40 Jahren wieder stark ausgeweitet. Aber die Ungleichheit in Europa sei nicht mehr so gross wie vor 100 Jahren.
Der Ökonom will in die Zeit zurück, in denen die ökonomische Ungleichheit kleiner war als heute. Dazu schlägt Piketty – gestützt auf die im Buch aufgearbeiteten historischen Daten – Massnahmen vor, wie man die Welt gerechter machen könnte.
Die erste Massnahme sei, den Zugang zu guter Bildung allen gleichermassen zu gewähren. Die USA seien im 20. Jahrhundert so lange die Weltwirtschaftslokomotive gewesen, wie sie bildungsmässig allen anderen voraus gewesen sei. Seit die USA aber den Lead in der Breitenbildung verloren hätten, habe sich das US-Wirtschaftswachstum stark verlangsamt.
Als zweite Massnahme will Piketty Reichtum und Eigentum gerechter verteilen. Denn heute besitze die Hälfte der untersten Schichten in der Schweiz oder Frankreich wenig, während ein Prozent der Reichsten gegen 30 Prozent aller Vermögen besässen.
Eigentum gerechter zu verteilen, sei wichtig, weil mehr Gleichheit zu höherer wirtschaftlicher Effizienz führe. «Denn es gibt viele junge Leute aus der Unterschicht oder der Mittelklasse, die gute Ideen haben und wirtschaftlich etwas aufbauen möchten.» Wer aber nichts besitze, jeden Job zu jedem Lohn annehmen müsse, um über die Runden zu kommen, könne keine Firma gründen. «Und das ist schlecht für eine dynamische Wirtschaft.»
Starthilfe vom Staat
Die Umverteilung umsetzen will Piketty vor allem mit einer progressiven Erbschaftssteuer, die bei Milliardären bis 90 Prozent betragen könnte. In Pikettys partizipativem Sozialismus, wie er sein Modell nennt, würden alle mit 25 Jahren einen einmaligen Betrag erhalten: Wer heute nichts erbt, weil seine Eltern nichts haben, bekäme vom Staat 120'000 Euro.
Dass sehr hohe Steuersätze der Wirtschaft schaden könnten, verneint Piketty – und verweist nochmals auf die USA. Vor den 1980er-Jahren, also vor der Zeit Ronald Reagans, betrug die Einkommenssteuer in den USA bis zu 80 Prozent: Und das habe den Kapitalismus nicht zerstört, sondern die US-Wirtschaft im Gegenteil dynamischer und produktiver gemacht, als sie es in den Jahren nach den Reformen Reagans je gewesen sei.
Freiheit für wen?
Letztlich geht es Piketty um Freiheit: «Freiheit für alle, oder nur Freiheit für einige wenige?» fragt er provokativ. Nur wer Geld habe, könne frei entscheiden, was er oder sie mit dem Leben anfangen wolle. Wer Millionen besitze, sei sich selten bewusst, welche Freiheiten er damit erhalte. Wer aber 120'000 Euro besitze statt Null Euro, für den sei das ein riesiger Unterschied. Denn etwas Geld besitzen bedeute, die eigene Zukunft gestalten zu können.
Das neue Buch von Piketty ist dank der Hunderten von Tabellen und Grafiken ein Fundus für Wirtschaftshistoriker. Ob es das Buch aber schafft, Politikern bewusst zu machen, welche Mittel in der Geschichte funktioniert haben, um Ungleichheit zu reduzieren, steht auf einem anderen Blatt.