SRF News Online: Reto Lipp, dieses Jahr findet zum 16. Mal das Swiss Economic Forum in Interlaken statt. Welches Thema wird Ihrer Meinung nach die Diskussionen beherrschen?
Reto Lipp: Auf der SEF-Bühne wird es um die grossen geopolitischen Fragen gehen, «The Big Shift» heisst das übergeordnete Thema. Die Welt verändert sich rasend schnell und die neuen Machtzentren sind in Asien zu finden und nicht mehr in Europa oder in den USA. Das SEF will Antworten auf die Frage geben, welche Konsequenzen diese Machtverschiebung auf die internationalen Beziehungen und die globale Wirtschaft hat. Hinter den Kulissen werden aber auch viele Fragen diskutiert, die KMUs besonders interessieren wie die Nachfolge-Probleme, die Wachstumspolitik der Schweiz, die Auswirkungen der digitalen Revolution oder der Mut zum Risiko.
Auch in diesem Jahr führen Sie Dutzende Interviews mit Firmenchefs und anderen Wirtschafts-Vertretern. Auf wen kann man gespannt sein?
Ich freue mich sehr auf den neuen ABB-Chef Ulrich Spiesshofer, der den Milliardenkonzern zu neuer Blüte bringen will. Dann stehen zwei Top-Frauen besonders im Fokus nämlich Ursula Burns, die Chefin von Xerox, und Margarita Louis-Dreyfus, die Verwaltungsratspräsidentin des Agrarrohstoff-Konzerns Louis-Dreyfus Commodities.
Welches verspricht das explosivste Gespräch zu werden?
Sehr spannend für mich wird das Interview mit Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy sein. Er ist ja eine sehr umstrittene Persönlichkeit, dessen Aufstieg und Wahlniederlage ich intensiv verfolgt habe. In Frankreich nennt man ihn «Speedy-Sarko», weil er nie ruhig sein kann und seinen Konkurrenten meistens davonrast. Das Interview dürfte schon sehr anspruchsvoll sein, denn Speedy-Sarko ist nicht zu bremsen. Zudem kann er gegenüber Journalisten sehr unflätig werden, wenn ihm etwas nicht passt. Und angesichts des neusten Wahlkampf-Finanzierungs-Skandals in Frankreich wird das Interview umso brisanter. Das heisst übrigens auch, dass ich bis zum Beginn des Interviews nicht sicher bin, ob er wirklich ins Studio kommen wird.
Welche Sorgen treiben die Wirtschaftsvertreter dieser Tage um?
Für die meisten KMUs gilt das, was auch Swatch-Chef Nicolas Hayek umtreibt: Die Schweiz ist ein Hochkostenland, und der Franken ist trotz Mindestkurs sehr stark, was die Produktion in der Schweiz sehr teuer macht. Wer aus der Schweiz heraus exportieren will als KMU, hat es nicht gerade einfach. Jene KMUs, die nur für den Heimmarkt produzieren, haben es zwar einfacher, sie werden aber durch die günstigen Importe stark unter Druck gesetzt. Die Schweiz will und muss ein Industrieland bleiben, die Industrie hier zu halten, ist aber alles andere als einfach.
Auf welche Stärken kann sich die Schweiz verlassen?
Die Stärken der Schweiz sind sicher die Rechtssicherheit, die Stabilität und der noch immer liberale Arbeitsmarkt. Die Rahmenbedingungen in der Schweiz sind immer noch gut, wobei auch die Schweiz weitere Reformen dringend nötig hat z.B. bei der Altersvorsorge oder im Steuersystem. Es besteht die reale Gefahr, dass die an sich guten Standortvorteile der Schweiz in einem langsamen, fast unbemerkbaren Prozess erodieren. Meist merkt man es erst, wenn es schon zu spät ist.
Wie ist die Stimmung hinter den Kulissen am SEF?
Hier läuft – im Gegensatz zum WEF – alles sehr schweizerisch solide ab – man bleibt auf dem Boden. Keine helikopterlandenden Politiker, keine High-Security-Massnahmen, keine globalen Höhenflüge. KMU-Unternehmer sind in der Regel eher Praktiker als Theoretiker und das gibt dem SEF ein ganze anderes Flair als dem WEF. Es wird etwas weniger die Welt gerettet – es geht mehr um den Erfolg und die Innovationskraft von KMUs.
Interview: Manuela Siegert