Wenn das Staatsanleihenprogramm funktioniere, komme das natürlich allen zugute, sagt die Oekonomin Hélène Rey. Denn dann werde die Wirtschaft wachsen. Aber schon jetzt sei völlig klar, dass das milliardenschwere Programm zu Verteilungsproblemen führen werde, sagt die vielfach ausgezeichnete Französin, die an der London Business School lehrt.
«Vermögende werden noch reicher»
Jedes Mal, wenn die Notenbank in der Vergangenheit den Zinssatz gesenkt oder Wertpapiere gekauft habe, sei mehr Geld in Vermögenswerte geflossen, sagt Rey. Das habe die Preise nach oben getrieben. Vermögende würden dadurch noch reicher. Sparer und Schuldner hätten das Nachsehen. Es gebe ein Verteilungsproblem, sagt die Ökonomin.
Selbst der frühere Star-Investor und Milliardär George Soros warnt inzwischen vor wachsender Ungleichheit durch die massive Geldflut der EZB. Er sei sehr besorgt, dass die exklusive Verantwortung der Notenbanken für den Wirtschaftsaufschwung die Einkommensschere zwischen einzelnen Ländern, aber auch zwischen Menschen weiter öffnen werde, sagte Soros in Davos.
Für einen ehemaligen Superspekulanten, der früher gegen ganze Länder gewettet hat, ist das eine ziemlich bemerkenswerte Aussage.
Die Erkenntnis sickert langsam durch
Bestätigung bekommt er von da, wo man es eher erwartet: bei der internationalen Arbeitsorganisation ILO. Die Löhne nähmen in vielen Ländern weniger stark zu als die Kapitaleinkommen, sagt ILO-Chef Guy Ryder. Dadurch nehme die Ungleichheit zu. Die Erkenntnis sickert langsam auch nach oben durch.
Die Zahlen sind eindrücklich. Die reichsten ein Prozent der Weltbevölkerung werden im Jahr 2016 mehr Vermögen angehäuft haben als die restlichen 99 Prozent zusammen, schreibt die britische Regierungsorganisation Oxfam in einer Studie, die sie diese Woche in Davos vorstellte. Und das heisst: Der weltweite Wohlstand konzentriert sich immer mehr auf eine kleine Elite.
Umverteilung nach oben
Der kann das aber längst nicht egal sein: Je grösser die Schere, je grösser die Umverteilung nach oben, desto grösser dürfte das Risiko sozialer Unruhen sein, die bestehende Strukturen in Frage stellen. Dass das nicht reine Theorie ist, zeigen wiederkehrende Proteste in Griechenland, Brasilien oder Nordafrika. Das Problem sei zwar erkannt, eine Lösung aber nicht in Sicht, sagt ILO-Chef Guy Ryder.
Die ILO selbst schlägt vor, das Problem mit anständigen Mindestlöhnen und einer besseren Sozialpartnerschaft sowie höheren Steuern anzugehen. Auch Oxfam sieht den Schlüssel zur Lösung in einer faireren Besteuerung.
Geld- und Fiskalpolitik nicht im Einklang
Das Problem sei, dass Politiker es bisher versäumt hätten, die Nebenwirkungen der Geldflut durch eine angemessene Steuer- und Ausgabenpolitik abzufedern, kritisiert der ehemalige Investor Soros. Geld- und Fiskalpolitik seien zu wenig in Einklang.
Die EZB hat der Politik durch ihre jüngste Massnahme erneut Zeit gekauft. Jetzt müssen die Politiker die Chance nutzen. Der Druck von der Strasse dürfte weiter zunehmen.