Es ist vielleicht der undankbarste internationale Spitzenjob, der im Moment zu haben ist: Wenn Ngozi Okonjo-Iweala Anfang März die Führung der Welthandelsorganisation (WTO) übernimmt, muss sie einen grossen Scherbenhaufen zusammenkehren.
Einfach dürfte das nicht werden. Die 164 Mitgliedsländer sind in vielen grossen Fragen zerstritten – müssen aber im Konsens entscheiden. Seit mehr als 20 Jahren hat die dem Freihandel verpflichtete Organisation keine globale Handelsrunde mehr zustande gebracht. Stattdessen wachsen geopolitische Spannungen und Protektionismus – nicht erst seit Corona-Zeiten. Es gibt sogar mehr grosse Handelsdispute denn je.
Das Herz der Organisation ist lahmgelegt
Doch ausgerechnet jetzt ist der Streitschlichtungsmechanismus der WTO lahmgelegt – und damit das Herz der Organisation. Die US-Regierung unter Donald Trump blockierte monatelang die Ernennung neuer Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen. Und lähmte damit die ganze Organisation.
Die Trump-Regierung war es auch, die die Wahl der künftigen WTO-Chefin Okonjo-Iweala lange Zeit blockierte – obwohl der Spitzenjob schon seit letztem Sommer vakant ist. Dass die gebürtige Nigerianerin extra die US-Staatsbürgerschaft angenommen hatte, um ihre Chancen zu steigern, konnte Trump nicht überzeugen. Erst die neue US-Regierung unter Joe Biden machte den Weg vor zwei Wochen frei.
Eine Aussenseiterin auf dem Chefsessel
Das ist ein Hoffnungsschimmer für die gelähmte WTO – und vielleicht ihre letzte Chance als multilaterale Organisation zu überleben. Die promovierte Entwicklungs-Ökonomin Ngozi Okonjo-Iweala gilt als resolut und zupackend. Und: Sie bringt einen riesigen Rucksack an Erfahrung mit. Zweimal war sie nigerianische Finanzministerin – und handelte in dieser Funktion erfolgreich einen Schuldenschnitt mit internationalen Gläubigern aus. Auch in der Weltbank machte die Afrikanerin ein Vierteljahrhundert lang Karriere bis hin zur Vize-Direktorin.
Dass sie über keinerlei Handelserfahrungen verfügt, sondern als Aussenseiterin auf den WTO-Chefsessel rutscht, muss kein Manko sein: Denn um die zerstrittenen Mitglieder wieder zu einen und Vertrauen zurückzugewinnen, ist vor allem politisches Geschick gefragt. Nur wenn sie die Mitglieder wieder an einen Tisch bringt, kann die WTO zu neuem Leben erwachen.
Neue Herausforderungen warten
Dazu gehört nicht nur, die Streitschlichtung zu reformieren, sondern auch neue Herausforderungen anzugehen. Eine der grossen aktuellen Fragen ist, wie die WTO mit dem Schutz geistigen Eigentums bei Covid-Impfstoffen – also Patenten – umgeht. Arme Länder fordern Zugang für alle, reiche Länder wie die Schweiz wehren sich dagegen.
Als frühere Chefin der weltweiten Impfallianz Gavi kann Okonjo-Iweala beim Thema Impfstoffe also gleich demonstrieren, wie weit ihr politisches Geschick reicht. Und bei der Gelegenheit auch zeigen, wie ernst es der Organisation ist mit dem Ziel, den Welthandel als Chance für alle zu begreifen – arme und reiche Länder.