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Meine 500 besten Freunde
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Ich hab' noch eine Clutch in Berlin ...

Berlinale, Vernissagen, pompöses PiPaPo: Berlin brennt vor heissen High Heels auf seinem Pflaster. Und frau versucht sich auf ihren hohen Hacken berlinerisch zu geben: Superlässig und entspannt. Was für ein prima Spannungsfeld für eine scharfe Beobachterin wie Johanna Adorjan!

Wenn die Dänin Johanna Adorjan Buchpremiere feiert, tut sie das nicht im Buchlädelchen ums Eck, nein, sie feiert auf der Volksbühne in Berlin und aus ihrem Buch liest das einstige Jugendidol Heike Makatsch, die heute eine überzeugende Schauspielerin ist. Das passt  zum neuen Buch der Schriftstellerin und Journalistin: Sie erzählt 13 Stories aus Berlin, einer Stadt, von der man nach der Lektüre annehmen muss, dass eigentlich sie gemeint war, als es um die Vergabe des Titels "¨the city that never sleeps" ging.

Wir sind an der Berlinale, am Gallery Weekend, im Restaurant Borchardt und so weiter und vor dieser Kulisse porträtiert die Autorin  Menschen, die schwer an Leben und Alltag leiden - trotz oder wohl gerade wegen der Tatsache, dass sie in selbstgewählten Berufen arbeiten oder besser gesagt: kämpfen. Sie sind  Lektoren, Schauspielerinnen, Künstler, Zeitungspraktikantinnen undsoweiter und leben im ständigen Wechsel, sind entweder überambitioniert  oder unsicher. Gerade weil auf unwiderstehlich überzogene Art erzählt wird, fällt es so leicht, das menschliche darin auszumachen. Johanna Adorjan porträtiert Menschen, schnell und ironisch, setzt sie Szene. Das ist vergnüglich zu lesen und zum Glück nicht einfach zu verdauen.

Viel Vergnügen bei der folgenden Groteske auf den Seite 16 / 17 im Buch, ein Blick auf die Theaterlandschaft in Berlin. Die Hauptperson ist Friederike:

«Sie war mit Klaus im Theater gewesen. Auf dem Spielplan hatte «Geröll und Widerstand» gestanden, einen Bühnenadaption des wohl bekanntesten Romans eines zeitgenössischen, litauischen Schauspielers, von dem Friederike nie zuvor gehört hatte. Es war viel von Flucht und Krieg die Rede gewesen, aber das Ensemble war trotzdem in glitzernder Abendgarderobe aufgetreten und das Bühnenbild hatte nach Jahrmarkt ausgesehen. Ein glatzköpfiger Mann in Lederjacke, von dem Friederike annahm, es könnte der Autor selbst gewesen sein, hatte mitten im Stück relativ unvermittelt einen langen Monolog in einer fremden Sprache (vermutlich litauisch) gehalten, anschliessend war minutenlang sehr laut Rockmusik eingespielt worden, während zwei der männlichen Darsteller die Frau vergewaltigten, die von Nadja von Stettin gespielt wurde. Unter Umständen hatte es sich dabei um eine Liebesszene gehandelt, das hatte sich Friederike nicht vollständig erschlossen, da sich dieses Szene hinter der Bühne abgespielt hatte und in verwackelten Live-Videobildern auf eine Leinwand übertragen worden war.

Johanna Adorjan: Meine 500 besten Freunde
Luchterhand Literaturverlag, 256 Seiten
ISBN: 978-3-630-87354-1

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