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Nora Zukker SRF 3
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 57 Sekunden.
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Giraffen

Die Geschichte über den Verlust einer Liebe. Dagegen hilft kein Wodka dieser Welt.

Wo endet die Party und wo beginnt der Absturz? Eva und Henry teilen die gleichen Vorlieben: Alkohol, viel Alkohol, noch mehr Alkohol, lange Nächte und kurze Erinnerungen. Eva ist blond, Henry ist reich. Sie huldigen dem Exzess wie einer Religion und sie glauben, der Rausch von acht Gläsern Champagner in einem Luxushotel ist glamouröser als der von billigem Fusel in einer Absteige. Solange man in ein Klo von Villeroy & Boch kotzt, hat noch alles seine Ordnung. Ihr Selbstbetrug funktioniert gut, aber ihre Körper können nicht lügen. Eva lässt ihre Hämatome ungewisser Herkunft mit Vitaminspritzen behandeln. Gemeinsame Entgiftungsphasen beruhen auf dem Heilungsprinzip: MDMA statt Kokain und Weisswein statt Wodka. Euphorie und Ekel, Berlin und Zungenküsse, Weissbier und Weisswürste, Panik und Porto Cervo sind die Orte ihrer psychischen und physischen Zerrüttung. Oder ist es doch Liebe, sich gemeinsam fast ins Koma zu trinken und dabei sehr gut angezogen zu sein? Ein harter, herzzerreissender Roman über die falsche Sehnsucht, die falschen Drogen und die falsche Party.

Leseprobe

Ich bin müde. Nach drei Calvados und einem Wodka kann ich die Augen nicht mehr aufhalten. Henry winkt dem Kellner, einen doppelten Esspresso. Er kann es nicht leiden, wenn ich müde bin. Es ekelt ihn an. Ich hoffe, es wird von so einem Moment wie jetzt nie Fotos geben. Es ist die Normalität. Unsere Normalität. Wir suchen mit vereinten Kräften nach der Lösung, was jetzt zu tun ist. Die Party ist morgen. Wir müssen für das Jetzt etwas finden. Die Härte der Situation ist mir bewusst, ich komme besser mit ein paar Ideen an. Henry kommt mir zuvor und empfiehlt, die Uhr doch ein paar Stunden zurückzudrehen

Herrentoilette. Nachmittags muss niemand pinkeln. Wir haben ein paar Minütchen. Ich schaffe nur die Grösse eines kleinen Fingers. Also so lange und nicht mal so breit wie ein kleiner Finger. Henry nimmt das Doppelte. Das Betrunkenheitsgefühl legt sich, ich massiere noch ein paar Kristalle ins Zahnfleisch, son lange, bis der Zahnarztgeschmack sich breit macht. Mein Kopf spielt mir Klarheit vor, die Hände erkalten, das legt sich gleich, das bisschen Herzrasen ist nicht schlimm. Kristalle zwischen den Zähnen. Ich kaue darauf herum, es klingt, als ob ich was Knuspriges esse. Der Kopf ist leer. Angenehm.

Henry will ficken. Mir geht es ähnlich, Also fahren wir nach Hause, ja? Nicht ganz. Henry will nicht ganz normal ficken, er will was anderes. Was Neues. Wie ist es denn mit dem Pornoladen in Neukölln? Hinfahren und dann sehen, was passiert. Ich war nie dort. Ich weiss nicht. Der Ort gehört Henry, als Terrain. Er verschwand an und zu dorthin, um sich Videos zu kaufen, die er im Internet nicht finden konnte.

 

*Giraffe: Frauentypus, Ende 20. Jahrhundert bis heute, Verbreitung v.a. Westeuropa und Nordamerika, vermehrt zu finden an Orten des internationalen Jetsets. Lebt parasitär und in Co-Abhängigkeit mit wohlsituierten Exemplaren männlicher Spezies.


Anne Philippi: Giraffen
Rogner & Bernhard Verlag, 200 Seiten
ISBN: 978-3-95403-082-8

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