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Games Review: «Titanfall»

Endlich wieder mal ein Schiessspiel, das kein pseudo-realistischer Militär-Shooter ist. Nach Jahren der Dominanz von «Call of Duty: Modern Warfare» und «Battlefield» sprudeln in «Titanfall» die neuen Ideen.

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Der Game-Tipp zu «Titanfall» (SRF 3)
07:27 min
abspielen. Laufzeit 7 Minuten 27 Sekunden.

Die Geschichte von «Titanfall» spielt in der fernen Zukunft auf fernen Planeten und dreht sich um einen Konflikt zwischen einer übermächtigen Bergbaufirma und einer Kolonisten-Miliz.

Dieser futuristische Schauplatz befreit von den «Das muss alles sooo echt wirken!»-Fesseln und erlaubt zwei Spielelemente, die «Titanfall» stark von den Konkurrenten abheben: die Titans und rasante Bewegung.

Nur zwei der vielen neuen Ideen von «Titanfall», und weil diese Ideen nicht nur neu, sondern auch gut sind, gefällt mir das Spiel ausserordentlich.

1. Doppel-Sprung und Wand-Läufe

Ein Pilot rennt mit Hilfe seiner Hüftraketen einer Wand entlang.
Legende: Keine Zeit für Kirschblüten. Electronic Arts

Unsere Spielfigur, sogenannte «Piloten», trägt um die Hüfte einen Raketengurt, der viel Bewegungsfreiheit erlaubt: Wir können aus grossen Höhen fallen, ohne Schaden zu erleiden; wir können hoch springen und mitten im Sprung noch ein weiteres Mal springen, um noch mehr Höhe zu gewinnen; und wir können an Wänden entlang rennen.

Das macht «Titanfall» zu einem sehr schnellen Spiel. Man fühlt sich an «Unreal Tournament» erinnert, das Doppel- und Wand-Sprung ebenfalls kannte. Doch die Idee des Wand-Laufs ist neu und eröffnet ganz neue Möglichkeiten, sich auf dem Schlachtfeld zu bewegen. Es ist zentral, diesen eleganten Parkour , Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnenzu meistern.

2. Kampfroboter

Nachdem wir eine gewisse Zeit auf dem Schlachtfeld verbracht haben, wird unser persönlicher Titan verfügbar. Dieser riesige gepanzerte Kampfroboter wird vor uns abgeworfen, und wir können einsteigen oder ihn als automatisierten Wachhund selbständig agieren lassen.

Zwei Piloten setzen einem gegnerischen Titan zu.
Legende: Hinten links: Rodeo. Vorne rechts: Rodeo-Clown. Electronic Arts

Wenn wir uns in das Cockpit schwingen, verändert sich das Spielgefühl komplett: Während wir als Pilot zwar wendig und schnell, aber klein und verletzlich sind, sitzen wir nun in einer gewaltigen Zerstörungsmaschine, die mit viel Getöse über das Schlachtfeld trampelt. Dass sich das im Spiel trotzdem jederzeit fair anfühlt, ist eine herausragende Leistung der Spielbalance.

3. Kanonenfutter

Wir spielen «Titanfall» in zwei gegnerischen Teams mit je sechs Spielern. Neben meinem und elf anderen Piloten rennen auf dem Schlachtfeld aber auch noch viele vom Computer gesteuerte Soldaten herum. Diese sogenannten «grunts» erfüllen zwei Aufgaben: Einerseits sind sie deutlich leichtere Ziele als menschliche Spieler. Damit ermöglichen sie auch schwächeren Spielern Erfolgserlebnisse. Andererseits sind sie strategisch wichtig: Je mehr «grunts» wir erledigen, desto schneller wird unser erster Titan verfügbar. Und natürlich hat ein Team, dass ihre Kampfroboter früher zur Verfügung hat, einen klaren Vorteil.

4. «Smart Pistol»

«Titanfall» hat keine Angst, mit Konventionen zu brechen – nichts demonstriert das so gut wie die «Smart Pistol». Diese Waffe hilft Spielern, die sich schwer tun, bewegliche Ziele zu treffen. Und zwar mit einer Zielerfassung: Halten wir ihr Fadenkreuz eine Weile über ein Ziel, wird es erfasst und beim abfeuern dann automatisch getroffen.

Bei vom Computer gesteuerten Gegnern geht das sogar mit mehreren Zielen gleichzeitig: Eine Gruppe Fusssoldaten kann komplett erfasst und dann mit einem einzigen Abdrücken erledigt werden. Die «Smart Pistol» eignet sich deshalb besonders gut gegen «grunts» zu Beginn einer Runde, um möglichst schnell zu seinem ersten Titan zu kommen.

Damit die Waffe nicht übermächtig ist, dauert es eine Weile, bis das Ziel erfasst ist – im Nahkampf mit einem Gegner mit Schrotflinte oder Maschinenpistole ist man viel zu langsam. Ausserdem beginnt die Zielerfassung erst ab einer recht kurzen Distanz – Gegner mit Gewehren haben uns dann aus der Ferne schon lange getroffen.

5. «Cooldowns»

Dennoch kann die «Smart Pistol» auch gegen Piloten effektiv sein, aber kaum im direkten Kampf, wo sich beide Gegner sehen. Sondern in Verbindung mit Spezialfähigkeiten wie «Cloak» – mit dieser Fähigkeit wird unser Pilot für eine kurze Zeit fast unsichtbar.

Ein Pilot auf sicherer Distanz zu einem Titan-Duell.
Legende: Wenn zwei sich streiten, bleibt der Dritte besser auf Abstand. Electronic Arts

Wir können auch andere Spezialfähigkeiten auswählen, beispielsweise «Stim», um etwas schneller rennen zu können. Auch unser Titan hat solche Fähigkeiten: Mit dem «Vortex Shield» reflektieren wir gegnerische Projektile; mit «Electric Smoke» tarnen wir einen schnellen Abgang.

Wie das Rufen eines neuen Titans sind diese Fähigkeiten sogenannte «Cooldowns» – einmal eingesetzt, müssen wir eine bestimmte Zeit warten, bis wir die Fähigkeit wieder einsetzen können. Das ist ein Prinzip, das man vor allem aus Rollenspielen kennt, wo es die Kernmechanik jedes Kampfes ist. Hier erweitert es den Shooter um eine spannende strategische Komponente. Denn wir wollen unsere Spezialfähigkeit so oft wie möglich einsetzen; sie andererseits aber nicht in gefahrlosen Situationen verschwenden und dann nicht mehr zur Verfügung haben, wenn es brenzlig wird.

6. Karten verbrennen

Auch die nächste Idee ist von Rollenspielen abgeschaut: «Burn Cards». Wir erhalten für Erfolge im Spiel verschiedene Karten. Diese Karten verbessern eine Waffe, verlängern eine Fähigkeit oder geben uns sonst einen kleinen Vorteil. Wir wählen aus unserer Sammlung jeweils drei aus und können die im Kampf dann einsetzen. Der Effekt einer Karte bleibt so lange aktiv, bis wir sterben; dann können wir eine weitere Karte einsetzen. Auch das müssen wir strategisch klug tun, angepasst an Spielweise und -situation.

7. Epilog

Eine weitere schöne Idee ist der Epilog am Schluss einer Runde. Denn wenn ein Team gewonnen hat, ist das Spiel noch nicht sofort vorbei. Stattdessen erscheint ein Evakuations-Raumschiff. Das Verlierer-Team versucht, dorthin zu gelangen und zu flüchten. Die Gewinner umgekehrt versuchen, das zu verhindern. Dabei können weitere Punkte gesammelt werden. Und die Verlierer, die entkommen, können trotz Niederlage noch ein kleines Erfolgserlebnis feiern.

8. Geschichte im Multiplayer erzählen

Und schliesslich versucht «Titanfall», die traditionelle Trennung von Einzel- und Mehrspieler-Versionen aufzuheben. Normalerweise enthalten Spiele wie «Call of Duty» und «Battlefield» eine Geschichte, die man alleine gegen Computer-Gegner spielt. Und den Multiplayer-Modus, wo echte Spieler mit und gegen andere kämpfen. Zwischen den beiden Varianten gibt es kaum Berührungspunkte.

Umkämpftes Villenviertel.
Legende: Die Ruinen der Villen der Oberen. Electronic Arts

«Titanfall» versucht nun, eine Geschichte im Multiplayer zu erzählen. Statt uns allein spielen zu lassen, schickt uns das Spiel auf der Seite der Miliz oder der Bergbaufirma sofort in Kämpfe gegen andere Spieler. Dazu hören wir während des Kampfes verschiedene Figuren, die sich über Funk unterhalten und so die Handlung ausgestalten.

Nicht gelungen ist diese Art des Multiplayers, wenn es darum ginge, eine interessante Geschichte zu erzählen. Denn in diesen ersten Kämpfen fliesst das Adrenalin so stark, dass ich den Stimmen über Funk schlicht nicht zuhören konnte. Nachdem ich die Geschichte auf der Seite der Bergbaufirma abgeschlossen hatte, hätte ich sie unmöglich nacherzählen können. Erst als ich sie auf der Seite der Miliz noch einmal durchspielte, blieb sie hängen – und entpuppte sich als reichlich belanglos.

Gelungen würde ich diese Idee allerdings bezeichnen, wenn es darum geht, die Spieler an den Multiplayer heranzuführen. Denn oft lernen wir in der Einzelspieler-Geschichte ein Verhalten, das uns im Kampf gegen echte Spieler gar nichts nützt. Und beginnen mit dem Einstieg in den Mehrspieler-Modus dann wieder ganz von vorn. Nicht so in «Titanfall».

Neues Studio der «Call of Duty»-Gründer

So viele neue Ideen in einem Spiel sind erstaunlich. Und es brauchte dazu wohl die aussergewöhnliche Vorgeschichte von Respawn Entertainment, des Studios hinter «Titanfall». Die Gründer Jason West und Vince Zampella waren zuvor bei Infinity Ward für die «Call of Duty»-Reihe verantwortlich. Unter nicht geklärten Umständen gerieten die zwei im Frühling 2010 in einen Streit mit ihrem Verleger Activision, der in mehreren Gerichtsverfahren gipfelte. West, Zampella und gut die Hälfte der Mitarbeiter verliessen Infinity Ward; und fanden sich wieder im neu gegründeten Studio Respawn Entertainment.

Ein Pilot verlässt den schwer beschädigten Titan.
Legende: Eject! Eject! Electronic Arts

Unter der Führung von West und Zampella hatte Infinity Ward die «Call of Duty»-Reihe zu einem Goldesel gemacht – über 100 Millionen verkaufte Spiele, eine Milliarde Dollar Umsatz für «Modern Warfare 3» in nur zwei Wochen. Es muss Activision deshalb besonders geschmerzt haben, dass Respawn auch noch vom grossen Rivalen Electronic Arts finanziert wurde.

Doch für die kreative Arbeit scheint der turbulente Abgang und der Neuanfang befruchtend gewesen zu sein. Denn während sich die «Call of Duty»-Spiele nur noch in Nuancen unterscheiden und vor allem auf tosendes Spektakel setzen, quillt nun «Titanfall» mit Ideen über.

Progression vs. Skill

So ist das Spielgefühl von «Titanfall» schnell und hektisch, aber nicht die Dauer-Sterbeorgie eines «Call of Duty». Und es scheint mir auch nicht so stark auf Freischaltungen fixiert zu sein wie «Battlefield», das mit seinen unzähligen Waffen und Zubehörteilen eher überfordert und sich deshalb auch zu oft wie Arbeit anfühlt.

Der Doppelsprung in Aktion.
Legende: Hüpfen. Dann hüpfen. Electronic Arts

Denn wegen des Riesenerfolgs der «Call of Duty»-Reihe kann es schlicht keinen Shooter mehr ohne das Grundprinzip «Progression» geben: Je länger wir spielen, desto mehr Fähigkeiten und Waffen schaltet unsere Spielfigur frei. Diese Belohnungen halten die Spieler länger bei der Stange. Sie erzwingen aber eine bestimmte Zeitinvestition – auch wer besonders talentiert ist, muss sich erst die besten Waffen freischalten, um konkurrenzfähig zu sein.

Die «Halo»-Reihe war für mich immer der Gegenpol: Nachdem es seinerzeit Schiessspiele auf der Konsole revolutioniert hatte, setzte es lange stur auf ein Design ohne Spielfigur-Verbesserung. Als Ende 2012 dann aber auch «Halo 4» Progression einführte, war klar, dass diese Ära vorbei war: Grosse Blockbuster-Shooter kann man heute nicht mehr ohne Freischalt-Mechanik spielen.

Der Fünfer und das Weggli

«Titanfall» scheint mir nun eine perfekte Melange dieser zwei Design-Prinzipien gefunden zu haben. Es gibt eine Progression und viele kleine Aufgaben, die uns im Spiel halten und für deren Erfüllen wir laufend belohnt werden.

Doch weil wir als Belohnungen meist die flüchtigen «Burn Cards» erhalten, sind die permanenten Spielfigur-Verbesserungen recht minimal, mit wenigen Waffen, wenig Zubehör, wenigen Fähigkeiten. Stattdessen sind gute Bewegung, der clevere Einsatz von Spezialfähigkeiten zum richtigen Zeitpunkt und gutes Teamwork wichtig – also Fähigkeiten der Spieler, nicht der Spielfiguren.

Umgekehrt hätte das zu einem Problem für Neueinsteiger werden können, die in Spielen wie «Battlefield» oder «ArmA» gegen Trainierte keine Chance haben. Doch «Titanfall» entgeht dieser Falle, weil es mit der «Smart Pistol» oder dem kurzen Allmachtsgefühl in einem Titan auch den Anfängern ihre Erfolgserlebnisse ermöglicht.

So viele so gelungene neue Ideen in einem Spiel sind selten. Deshalb ist der Tag, an dem der Titan fiel, ein Meilenstein.

«Titanfall» ist für PC und Xbox One (die Version für Xbox 360 erscheint Anfang April). Es ist ab 16. Das Haikiew ist hier.

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