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Sounds! Bitte hör nie auf zu jammern, Father John Misty!

Ist er überhaupt noch ein (Pop-)Musiker, oder gilt er schon als Missionar? Und weshalb nervt sein ewig selbstverliebtes Genörgele auf seinem dritten Meisterwerk nur bedingt? Eine selbstverliebte Herleitung zum neuen Suchtmittel meiner Gehörgänge.

«Sounds!» Album der Woche

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Legende: SRF/Claudia Herzog

Hörprobe bei «Sounds!»: Andi Rohrer und Matthias Erb spielen euch diese Woche täglich Tracks aus Father John Mistys «Pure Comedy».

«Sounds!» Montag-Freitag, 22-24 Uhr.

«Was zum Teufel ist los mit dir, Josh?», fragte ich mich nach dem ersten Durchhören deines neuen Albums «Pure Comedy». Weshalb nörgelst du eigentlich immer so rum? Wo sind die süffigen Melodien von deinem Erstling «Fear Fun» geblieben, das ich abgöttisch lieb(t)e? Weshalb ist dein dichter Bart einem slicken Thomas-Magnum-Schnauzer gewichen? Und weshalb tust du immer so, als wüsstest du alles besser, du narzisstisches kleines Ungeheuer?

Gib mir mehr davon

Zeit, um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, gabst du mir nicht wirklich. Du hattest mich schon vorher im Sack. Nach dem ersten Hören deiner 75-minütigen «Pure Comedy» drückte ich wie von einer ausserirdischen Allmacht gesteuert auf «repeat all» und liess mich erneut von deiner wunderbar zynischen «Die-Welt-ist-am-A***-Liedpredigt» bezirzen. Nicht weil ich mir gerne Dinge antue, die ich eigentlich gar nicht will, sondern weil Monsieur Father John Mistys Humor wohl einfach ein paar Szenen länger braucht, bis die Komödie wirkt und einen richtig süchtig macht nach mehr davon.

Es ist zum Weinen schön

Eigentlich ist nämlich nichts von dem, was du da mit deiner tollen Elton John-Stimme und deinen John-Lennon/Neil-Young/Bob-Dylan-Weltverbesserer-Protestsongs durchgibst, wirklich lustig. Und doch muss ich lachen, weil du uns den frisch polierten Spiegel der Realität vor die Nase hältst und singst: Schaut mal, wie scheisse wir alle drauf sind und wie absurd wir uns benehmen, während die Welt den Bach runter geht. Oder in deinen Worten: «Und ich freue mich schon auf die Szene, in der die Menschen meinen, sie hätten alles im Griff und irgendein übernatürliches Wesen hätte diese Horror-Show mit Sinn bestückt». Schön lamentiert, Father, und ich höre dein Album nun bereits zum dritten Mal und singe lauthals mit im ewigen Stau vor Zürich. Gemeinsam gegen das Elend der Welt. Schön, dass es dich gibt, du alter Moralprediger, denke ich. Und du singst: «I hate to say it, but each other‘s all we’ve got». Hach. Da werden einem vor lauter Nächstenliebe doch glatt die Augen wässrig.

Frohheit wegen vielen Sachen

Ich bin echt froh, dass du eine schwer religiöse Kindheit hattest und dich deine Eltern zu monatlichen Austreibungen verknurrten. Ich bin froh, dass du dich zwischenzeitlich mithilfe von LSD-Mikro-Dosen von all dem gelöst hast, etwas später dann deine Handvoll höchst depressiver Singer/Songwriter-Alben geschrieben hast, die die Welt nicht interessierten. Ich bin froh, dass du kurz bei den Fleet Foxes gespielt hast und dir schon bald klar wurde, dass ein dichter Bartwuchs allein noch keinen Folk ausmacht und du deine Schlagzeuger-Karriere beendet hast (was damals, als die Fleet Foxes auf dem Höhepunkt ihres Schaffens waren, einem künstlerischen Selbstmord glich). Ich bin froh, dass du dann schliesslich nackt und unter dem Einfluss lustiger Pilze auf einer Baumkrone sitzend eine Eingebung hattest, die da hiess: Father John Misty.

Ins Bett mit Taylor Swift

Drei Alben später bist du endlich da, wo du hingehörst: Der vermutlich beliebteste weisse Protestsänger der Welt, auch wenn dich noch nicht alle kennen. Endlich weggezogen aus dem Los Angeles, in dem alle Bands nach «Dollarzeichen und Amy Grant» klangen, gestrandet in New Orleans, verliebt, verheiratet, verwandelt. Zwischenzeitlich arbeitest du mit Lana Del Rey, Beyoncé oder Lady Gaga (und findest es schrecklich), gehst auf deinem neuen Album für eine Zeile lang auch mit der virtuellen Taylor Swift ins Bett und zettelst damit einen Shitstorm von empörten Swift-Fans an und rückst dich damit hoffentlich endlich ins globale Scheinwerferlicht der Mainstream Pop-Industrie. Es ist an der Zeit, Father. Deine Stunde ist jetzt. Denn niemand rechnet im Moment gerade charmanter mit dem Elend der westlichen Pop-Kultur ab als du.

It’s in the lyrics, dude.

Deine Musik ist eigentlich ziemlich uninteressant. Und das ist egal, oder sogar gut so, denn die schönen Kammer-Folk-Arrangements (die diesmal stellenweise an Becks «Sea Change» erinnern) dienen lediglich als Trampolin für deine Worte. Deine Texte brauchen Platz, denn sie sind tonnenschwere, egozentrische Essays, die eigentlich auch in einem theologischen Seminar analysiert werden könnten. Es ist die Art und Weise, wie du schreibst, welche Themen du wählst (Virtual Reality, totale Unterhaltung, Massenkontrolle der Gefühle, Nächstenliebe, Glauben, Hoffnung, Globalisierung, Isolation etc.) und wie ungeschminkt du diese Themen predigst, was dich aus- und mich süchtig danach macht. Du bist Narzisst und Selbsthasser in einem, und das macht dich so unglaublich authentisch und erträglich als moderner Moralapostel. Die westliche Welt braucht nicht unbedingt mehr von irgendwas (sie hat ohnehin schon zu viel von Vielem), aber Musiker wie dich hat sie nie genug.

«repeat all».

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