In ihrem Dorf nannte man Marie Odermatt-Lussy «Bierhahne-Marie» oder «Sepplene», denn als ledige Frau schenkte sie in der Krone Bier aus, später war sie mit einem Seppel verheiratet.
Couragiert und neugierig
Marie Odermatt-Lussy war eine couragierte Frau. Sie nahm gegenüber Land- und Regierungsräten kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Rechte der Frauen ging. Nebst Politik galt ihr Interesse der Nidwalder Kulturgeschichte.
Ausschlaggebend für ihre grosse Neugier auf diesem Gebiet sei ein Buch über die Mode des 18. Jahrhunderts gewesen, erzählte Marie Odermatt-Lussy 1988 am Radio. Bei der Lektüre habe sie realisiert, wie viele modische Elemente aus jener Zeit die Schweizer Trachtenmode beeinflusst hätten.
«gspässige» Geschichten
Das Trachtenwesen weckte schliesslich ihr Interesse an geschichtlichen Zusammenhängen. Marie Odermatt-Lussy beschäftigte sich mit Ratsprotokollen und Chroniken. Bei ihren Recherchen stiess sie immer wieder auf «gspässige» Geschichten, die es früher Wert waren aufgeschrieben zu werden.
Diese ausserordentlichen Geschichten begann sie zu sammeln und zu erzählen. Die Quellenangabe war ihr dabei besonders wichtig, denn sie wusste, dass sich Geschichten über Jahrhunderte hinweg verändern. Denn je nach Zeit können Sagen eine neue, eine andere oder überhaupt keine Bedeutung mehr haben.
Zwischen 1948 und 1988 hat Marie Odermatt-Lussy etliche Nidwalder Sagen am Schweizer Radio erzählt. Aus diesem wertvollen Archivschatz, stellen wir fürs Erste drei Geschichten vor.
Marie Odermatt-Lussy erzählt Sagen aus dem Kanton Nidwalden
«Schuld und Sühne»
Gericht und Gerechtigkeit, Schuld und Sühne, Frevel und Strafe: In der Sagenwelt tauchen diese Themen regelmässig auf. Beispiele dafür liefert die Nidwaldner Sagen-Erzählerin Marie Odermatt-Lussy in zwei Geschichten. Sie handeln vom Wiedergutmachen und vom tiefen Fall nach dem Hochmut.
«Chästräger am z'ahlte Abe»
«Ein Mann trägt vier Käselaibe, der fünfte oder sechste wird von Hochmut getragen», wurde früher im Kanton Nidwalden gesagt. Hochmut oder zur falschen Zeit am falschen Ort liess zwei Nidwaldner Käseträger einst kuriose Dinge erleben.
Nidwaldner Sage: «Die armen Seelen»
An bitterkalten Winterabenden werden die armen Seelen der Verstorbenen mit einem einladenden Licht willkommen geheissen.Von dieser Tradition handelt die Sage «Die armen Seelen» von Marie Odermatt-Lussy.
«Archad Häxe»
Eine Sage aus alten Tagen über Frauen in altmodischen Nidwaldner Trachten und roten Regenschirmen, die urplötzlich auftauchten – um gleich wieder vom Erdboden zu verschwinden.
«Dr Tifeil bi der Dallewiler Brugg»
Keiner kannte ihn und niemand traute sich ihn anzusprechen, den unheimlichen Mann, an der Dallenwiler Brücke, die bei Engelberg über die Aa führt. Doch dann fassten sich die Männer vom Dorf ein Herz und forderten den Fremden heraus, allen voran der kräftige Lorenz.
«Uf Grossächerli»
Schreckenstage von Nidwalden nennt man den Einfall der Franzosen im September 1798. Auch eine Alp hoch oben am Stanserhorn soll Kriegsschauplatz gewesen sein. Dort in einer Alphütte kehrt bis heute jeweils im Herbst der Geist eines französischen Soldaten ein.
«I dr Gräflimatthitte»
Auf der Gräflimatthütte scheint ein Fluch zu liegen. Ein Unwetter jagt das andere und die ganze Alpwirtschaft steht unter einem schlechten Stern. Jeder Alphirt weigert sich, dort oben einen zweiten Sommer zu verbringen. Doch im gottesfürchtigen Balz findet der Wolfenschiesser Bauer Hilfe in der Not.
«Eine wo nid raas erchlipft»
Des Nachts soll der Knecht im Beinhaus in Wolfenschiessen einen Schädel abstauben. So planten es jedenfalls der Bauer und sein Senn. Dies würde dem Angeber gewiss die Angst in die Knochen treiben und seinen Hochmut zerstören. Letztlich kommt es dann aber doch anders als erwartet.