Zum Inhalt springen

Header

Audio
Gaby Gerster
abspielen. Laufzeit 54 Minuten 2 Sekunden.
Inhalt

«Die rechtschaffenen Mörder» von Ingo Schulze

Das Buchantiquariat von Norbert Paulini in Dresden gilt als Bollwerk gegen Unkultiviertheit. Aber ausgerechnet dieser standfeste Held in «Die rechtschaffenen Mörder» gerät nach der Wende ins Schleudern. «Warum werden Rebellen plötzlich Rechtsradikale?» will Luzia Stettler von Ingo Schulze wissen.

Download

Norbert Paulini ist ein Mensch des Geistes: Er liebt die Literatur über alles; schon als Kind lassen ihn seine Eltern auf Bücherbergen schlafen; und später setzt er Himmel und Hölle in Gang, um gewisse seltenen Editionen zu beschaffen. Kein Wunder strömt die Kundschaft von weit her nach Dresden. Das Buchantiquariat ist eine Insel für Andersdenkende.

Aber die Zeiten ändern sich: die Mauer fällt und die Menschen entdecken nicht nur den Westen, sondern bald schon das Internet. Norbert Paulini hat Mühe, am Ball zu bleiben; die Ehe geht in Brüche, viele Stammkunden springen ab, die Umsätze sinken, und der einst so hellsichtige Antiquar bleibt - zunehmend verbittert und engstirnig - auf der Strecke.

Ingo Schulze ist selber in Dresden aufgewachsen und hat in seinen Büchern mehrfach thematisiert, wie die Erfahrung zweier Gesellschaftssysteme das Leben prägt. Raffiniert wechselt der Autor hier dreimal die Erzählperspektive, hinterfragt vermeintliche Gewissheiten und lässt uns selber im Zweifel, wie weit Paulini bereit ist, sich für sein Elend zu rächen.

So gesehen ist der Roman «Die rechtschaffenen Mörder» weit mehr als nur das Schicksal eines frustrierten Ostlers, der zunehmend ins rechte Lager abrutscht, sondern gleichsam auch ein Sinnbild für unsere schnellebige Zeit: Wenn Werte verloren gehen und die Verunsicherung wächst, braucht es Sündenböcke, die für die erfahrene Unbill herhalten müssen.

Buchhinweis:
Ingo Schulze. Die rechtschaffenen Mörder. S. Fischer Verlag, 2020.

Mehr von «52 beste Bücher»