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SRF DOK «Wenn es je einen Grund gab, Mohammed zu karikieren, dann jetzt»

Der Schweizer Schriftsteller Charles Lewinsky lebt in Zürich und in Frankreich. Im Interview mit SRF DOK äusserst er sich zur neuesten Mohammed-Karikatur von «Charlie Hebdo», über die Pegida-Bewegung und über die Tatsache, dass plötzlich alle «Charlie» sein wollen.

Christa Ulli: Was halten Sie von der Mohammed-Karikatur auf der Titelseite der neusten Ausgabe von «Charlie Hebdo»?

Charles Lewinsky: Wenn es je einen Grund gegeben hat, Mohammed zu karikieren, dann jetzt, wo in seinem Namen gemordet wird. Eine blasphemischere Karikatur eines Religionsstifters als ihn als Anstifter zum Mord an Andersdenkenden zu bezeichnen, so wie es die fanatischen Islamisten tun, kann es nicht geben.

«Charlie Hebdo» hat nun plötzlich sehr viele Freunde. Millionen sind «Charlie». Zeichner Bernard «Willem» Holtrop hat in einem Interview gesagt «Wir kotzen auf unsere neuen Freunde». Verstehen Sie diese Reaktion?

Ja, sehr gut sogar. In den meisten Fällen sind das ja keine echteren Freunde, als die, die man bei Facebook sammeln kann, ohne sie jemals kennenzulernen.

Es gibt in solchen Situationen oft einen «Ranschmeisser-Effekt», in dem die Solidarisierung mehr mit dem wohligen Gefühl zu tun hat, politisch auf der richtigen Seite zu stehen. Und wenn dann sogar die islamophoben Pegida-Demonstranten plötzlich «Charlie» sein wollen, dann kann einem schon die Galle hochkommen.

Zur Person

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Charles Lewinsky *1946 lebt in Frankreich und Zürich. Er ist freier Autor und schreibt Romane, Theaterstücke und Drehbücher.

Am Sonntag umarmten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident François Hollande demonstrativ, Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas kommen sich plötzlich so nahe wie schon lange nicht mehr, alle wollen in trauter Einheit gesehen werden. Wie empfinden Sie das?

…und Sarkozy drängelte sich in die Reihe der Regierungschefs, damit ihn die Kameras auch gut sehen konnten. Diese Einheit, befürchte ich, ist eine Eintagsfliege, die mehr mit PR als mit einem echten Willen zur Veränderung zu tun hat. An der politischen Haltung der Beteiligten wird sich deswegen nicht das Geringste ändern.

In Deutschland trauern sogar die Pegida-Teilnehmer um die Opfer der Anschläge in Paris. Die «Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes». Ein Widerspruch?

Das ist eine so hammerharte Karikatur der eigenen Bewegung, wie sie nicht einmal «Charlie Hebdo» eingefallen wäre. Hier demonstrieren Zehntausende ihr demokratisches Recht, sich öffentlich lächerlich zu machen.

Beim Anschlag auf den koscheren Supermarkt in Paris wurden vier Juden erschossen. Schon in den letzten Jahren sind so viele Juden wie nie zuvor aus Frankreich ausgewandert, weil sie sich bedroht fühlen. Benjamin Netanjahu soll die französischen Juden bei seinem Auftritt an der Demo vom Sonntag in Paris aufgefordert haben, nach Israel auszuwandern. Sie selbst leben zeitweise in Frankreich, wie erleben Sie das? Und: Ist Auswandern die Lösung?

Auswandern ist keine Lösung. Aber wer sich täglich an Leib und Leben bedroht fühlt – und die Bedrohung ist real! – kann durchaus die Flucht der täglichen Angst vorziehen. Es ist gefährlich geworden, in Frankreich Jude zu sein. Wir haben uns ja sogar in der Schweiz daran gewöhnt, dass jüdische Einrichtungen Sicherheitsschleusen und Wachmannschaften brauchen.

Normalerweise hat «Charlie Hebdo» eine Auflage von 60‘000 Exemplaren. Nun eine Million. Der Erlös soll an die Angehörigen der Opfer gehen, teilte das Magazin mit. Dennoch: Die Aufmerksamkeit ist derzeit so gross wie nie zuvor. Wird das anhalten?

Ich bin da nicht optimistisch. Solche Solidaritätsbewegungen neigen dazu zu verpuffen. Und es reicht eben nicht, Bleistifte in die Luft zu strecken.

Was – vor allem in Frankreich – geschehen müsste, wäre die harte und schwierige Arbeit einer besseren Integration der ausgegrenzten «Secondos» in den Vorstädten. Aber damit kommt man eben nicht ins Fernsehen.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

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