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Ein Tag auf der Intensivstation kostet 4000 Franken
Legende: Ein Tag auf der Intensivstation kostet 4000 Franken SRF
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Teure Medizin Wie viel ist uns ein Menschenleben wert?

Sind wir als Gesellschaft bereit, einem kranken Menschen jegliche Therapie zu ermöglichen, koste es, was es wolle? Und auch dann, wenn der kranke Mensch alt ist? Die heutige Medizin bietet vieles, doch sie hat ihren Preis und stellt uns vor die Frage: Was können und wollen wir uns leisten?

Anita Laurent und ihr Mann Alfred kämpfen um ein gemeinsames Leben. Die 39-Jährige hatte Krebs mit Metastasen, die Prognose war schlecht, nur eine neue Leber konnte sie retten. Ihr Mann hat ihr darum einen Teil von seiner gespendet. Eine so genannte Lebendleber-Transplantaion ist dann möglich, wenn die Werte von Empfänger und Spender übereinstimmen – bei den beiden hat es gepasst.

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Alfred Laurent: «Wir haben es unseren Kindern versprochen, alles zu tun.»
Aus DOK vom 24.05.2018.
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Eine solche Transplantation kostet etwa 200’000 Franken, vorausgesetzt, es gibt keine Komplikationen. Doch hier zu sparen, so denken die meisten in der Schweiz, wäre falsch. Schliesslich haben die Betroffenen noch ein langes Leben vor sich und zudem Kinder, die ihre Eltern brauchen.

Sind die Patienten allerdings schon älter, ist die Schweizer Bevölkerung laut einer im letzten Jahr durchgeführten, repräsentativen Umfrage, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen anderer Meinung: Ältere Menschen sollen nicht mehr teuer therapiert werden. Doch wer soll definieren, was teuer ist? Wer setzt die Grenze? Die Politiker oder die Ärztinnen und Ärzte?

Der 88-jährige Viktor Lerch wurde nach einem Herzstillstand reanimiert. Er kam auf die Intensivstation. Nur wenige überleben eine Reanimation, gerade mal einer von zehn Menschen. Dass er sich erholen wird, haben die Angehörigen zwar gehofft, doch die verantwortlichen Ärzte auf der Intensivstation waren skeptisch. Versucht haben sie es trotzdem. Nur, lohnt sich das?

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Peter Steiger: «Haben wir das Recht zu entscheiden, was sich lohnt und was nicht?»
Aus DOK vom 24.05.2018.
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Schon heute sind die Krankenkassenprämien für viele eine Last. Jeder 5. in der Schweiz ist heute auf die Prämienverbilligung durch den Staat angewiesen, und es dürften noch mehr werden. Die Prämien werden weiterhin steigen und damit der Druck, dass rationiert werden muss. In andern Ländern, in England beispielsweise, ist dies bereits Realität

Doch nicht nur die zunehmende Überalterung, auch die Spitzenmedizin und die neuen, teuren Therapien bedrängen unser System. Die neusten Zahlen vom Krankenversicherer Helsana zeigen, dass in den letzten 4 Jahren die Ausgaben für Medikamente auf 1 Milliarde Schweizer Franken gestiegen sind. Und wir sind erst am Anfang der Ära der neuen, teuren Medikamente.

Ein Beispiel: die Car-T-Cell Therapie für an Leukämie erkrankte Kinder. Kostenpunkt: knapp eine halbe Million Schweizer Franken. Noch ist sie erst in den USA zugelassen – für Betroffene aus der Schweiz ist sie (fast) unerreichbar weit weg und viel zu teuer.

Auch für den 5-jährigen Alex wäre die Car-T-Cell Therapie eine letzte Chance. Er leidet seit zweieinhalb Jahren an Leukämie. Bei ihm wurde bereits alles medizinisch Mögliche gemacht. Er hatte Chemotherapien und zwei Knochenmarktransplantationen. Doch für eine Car-T-Cell Therapie fehlt der Familie schlicht das Geld und die Zeit zu warten, bis die Therapie auch in der Schweiz zugelassen und damit kassenpflichtig wird.

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Daniela Gündogdu: «Die Therapie ist für uns unerreichbar»
Aus DOK vom 24.05.2018.
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Therapien, die eine halbe Million und mehr kosten, sind heute noch selten. Unser solidarisches Gesundheitssystem vermag diese Einzelfälle auch tragen. Doch wenn die Pharmabranche mehr solch teure Therapien auf den Markt bringe, warnt Onkologe Thomas Cerny, drohe unser Gesundheitssystem zu kippen.

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Thomas Cerny: «Die Dynamik der Medikamentenpreise ist gigantisch.»
Aus DOK vom 24.05.2018.
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Noch können wir uns viel leisten und noch basiert unser Gesundheitssystem auf dem Prinzip der Solidarität. Wer krank ist, wird von denen getragen, die gesund sind, im Wissen darum, dass es jeden treffen kann.

Vom 19. Jahrundert bis heute: Die Meilensteine der Krebsforschung

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Strahlentherapie
Legende: Strahlentherapie keystone

Lange galt die Diagnose Krebs als sicheres Todesurteil. Die Schulmedizin war hilflos. Bis in die 1970er-Jahre verschwiegen Schweizer Ärzte ihren Patienten die Diagnose sogar.

Ohne wirkungsvolle Therapie wuchsen die Tumore zu teilweise riesigen Dimensionen an, mit Durchmessern von bis zu 50 Zentimeter an Bein, Brust oder Hals. Im Endstadium brachen sie schliesslich auf. Ein langer und sehr schmerzvoller Prozess.

Erste Hoffnungen dank Chirurgie

Als erste Therapieform etablierte sich die Chirurgie – zunächst ohne Narkose. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann man während Operationen Patienten zu desinfizieren und zu betäuben. Dennoch blieben die Chancen für die Betroffenen klein. Viele Patienten starben allein an den Folgen der Operation.

Obwohl Mediziner immer wieder Durchbrüche ankündigten, liessen die Fortschritte auf sich warten. Krebs blieb eine rätselhafte Krankheit.

Tödliche Strahlentherapie

Um die Jahrhundertwende entdeckte man die Röntgenstrahlen. Durch Zufall fanden Forscher in Tierexperimenten heraus, dass die Strahlen Krebszellen zerstören.

Die Strahlentherapie galt als absolute Spitzenmedizin, der Nutzen war allerdings begrenzt. Die Nebenwirkungen waren massiv, viele Patienten bekamen ein Röntgenkarzinom. Gerade in der Anfangszeit starben einige Ärzte und Mitarbeiterinnen durch den täglichen Umgang mit den Strahlen.

Erst in den 1930er-Jahren liessen es bessere Geräte zu, die Strahlen besser zu dosieren. Seither hatte man etwas in der Hand gegen Krebs.

Mit C-Waffen gegen Krebs

Wirkungsvolle Medikamente entstanden während dem Ersten Weltkrieg. Durch Zufall, auf der Suche nach chemischen Kampfstoffen. Dreissig Jahre später stellten Forscher fest, dass die Substanzen das Zellwachstum hemmen und Tumore schrumpfen lassen. Damit entstand die Chemotherapie.

Zunächst musste die Chemotherapie erst noch die Machtstrukturen in Kliniken überwinden. Die bereits etablierten Radiologen und Chirurgen fassten die neue Methode als Konkurrenz auf. Mittlerweile ist interdisziplinäres Denken in der Krebsmedizin Alltag.

Ursachen verstehen

Wie Krebs entsteht, konnte sich lange Zeit niemand erklären. In den 1970er-Jahren fasste ein französischer Krebsforscher den Stand der Medizin zusammen: «Alles, was wir über Krebs wissen, kann man auf eine Visitenkarte schreiben.»

Dies obwohl rund 100 Jahre zuvor der Forscher Rudolf Virchow eine erste bahnbrechende Entdeckung machte: Krebs entsteht weder aus melancholischen Verstimmungen, noch aus Ansammlungen aus Schleim und Galle, sondern aus veränderten Zellen.

Erst langsam begann man zu begreifen, dass normale Gewebezellen sich unkontrolliert vermehren und damit zu Krebszellen werden. Der lange Faden in den Zellen, die DNA, ist schuld. Enthält er Fehler, können die Zellen unkontrolliert wuchern.

Wie Gaspedal und Bremse

1970 fanden zwei amerikanische Forscher das entscheidende Puzzleteil: die Onkogene. Stücke auf der DNA, die die Zellteilung kontrollieren. Im veränderten Zustand können sie Krebs auslösen. Mittlerweile sind über hundert Onkogene bekannt. Sie tragen Namen wie Her2, Ras oder Src und wirken ähnlich wie Gaspedale.

Gleichzeitig verfügt die Zelle auch über Bremspedale: die sogenannten Tumorsuppressor-Gene.

Gemeinsam balancieren beide die Zellteilung aus. Ist ein Teil defekt, gerät das Auto ins Schleudern, sprich die Zellen teilen sich unkontrolliert.

Neue teure Medizin

Diese Entdeckungen halfen, den Krebs besser zu verstehen. Darauf baut die Pharmaindustrie auf und entwickelt neue feinjustierte Medikamente. Es sind Antikörper, die gezielt in die Zellteilung eingreifen, oder den Körper dazu bringen, den Tumor abzubauen.

Die erste Immuntherapie kam 2011 auf den Markt. Sie wirkt bei etwa 25 Prozent der Patienten. Diese leben viel länger als erwartet. Dieser Ansatz gilt als Durchbruch, doch ein Problem bleibt: Er ist horrend teuer und belastet die Krankenkassen enorm. (arra)

Bei Anita Laurent hat es nicht geklappt mit der Lebendleber-Spende ihres Mannes. Ein Leck zwischen Galle und Leber liess sich nicht schliessen, der Bauchraum ist chronisch entzündet, sie braucht noch einmal eine neue Leber.

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Anita Laurent steht auf der Warteliste für eine Lebertransplantation
Aus DOK vom 24.05.2018.
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Der Spitalaufenthalt des 88-jährigen Viktor Lerch hat nur einen Bruchteil davon gekostet, schätzungsweise 50’000 Franken. Ist das nun zu viel?

«Bei anonymen Alten lässt sich gut sparen», sagt Roland Kunz, Chefarzt Akutgeriatrie am Waidspital in Zürich. Aber wenn es dann der eigene Vater oder die geliebte Grossmutter sei, dann kippe es, dort möchte man dann doch lieber alles medizinisch Mögliche tun.

Ums Sparen kommen wir jedoch langfristig nicht herum. Die Lösung wäre einfach, sagt der Onkologe Thomas Cerny. «Wir müssen eine Symmetrie finden. Wenn jeder, ob Patient, Arzt, Spital oder Pharmabranche ein bisschen zurückschraubt, dann ginge es.» Davon sind wir noch weit entfernt.

Eveline Falk

Eveline Falk

Dokfilmautorin

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Eveline Falk (*1962) arbeitet seit 1994 für SRF. Sie war Korrespondentin für die Ostschweiz, arbeitete für die «Tagesschau», «Puls» , die «Rundschau» und realisiert Filme für «DOK» und «Reporter».

Der DOK-Film zum Thema

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Wie viel ist uns ein Leben wert?
Aus DOK vom 24.05.2018.
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