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Mühleberg - ländliches Dorf mit Atommeiler.
SRF.
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Mühleberg – ein Dorf verabschiedet sich von der Atomkraft

Im Dezember 2019 ziehen die Bernischen Kraftwerke BKW in Mühleberg den Stecker. Das Kernkraftwerk unten an der Aare ist das erste in der Schweiz, das stillgelegt und zurückgebaut wird. Im Dorf oben blickt man dem Ende mit gemischten Gefühlen entgegen.

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Für Kraftwerkveteranen ist das Abschaltdatum ein trauriger Tag. Andere sind erleichtert über das baldige Ende des Kernkraftwerks.

Das Kernkraftwerk Mühleberg ging 1972 ans Netz. Kontinuierlich wuchs in den Jahren danach – in der Schweiz und auch europaweit – eine Anti-Atombewegung. Atomkraftgegner gab es immer auch in Mühleberg. Doch die Kernspaltung unten im Tobel führte nie zu einer Spaltung der Bevölkerung oben im Dorf. Das sagt heute unter anderem der Gemeindepräsident René Maire (SVP): «Wenn man in einer kleinen Gemeinde wie Mühleberg zusammenleben will, muss man versuchen, miteinander auszukommen. Atomkraftgegnern liess man ihre Meinung – und umgekehrt.» Maire sieht der Zukunft des Dorfes ohne sein Kernkraftwerk einigermassen gelassen entgegen: «Wir haben gerechnet, und wir werden nicht schlechter dastehen als die umliegenden Gemeinden.»

«Das Highlight meines Lebens»

Peter Lüthy arbeitete 40 Jahre lang im Kernkraftwerk. Der gelernte Elektriker kam Ende der Sechzigerjahre nach Mühleberg. Ihn interessierte die damals in der Schweiz noch einigermassen neuartige Energiegewinnung mittels Kernspaltung. Er war beim Start des Kernkraftwerks Mühleberg dabei. «Als wir zum ersten Mal die Steuerstäbe ausfuhren und damit die Kernspaltung auslösten, da waren wir angespannt bis aufs letzte, und ich habe wahnsinnig geschwitzt. Für mich war es das Highlight des Lebens.» Lüthy kannte nie Zweifel an dieser Technologie. Für ihn ist es ein Jammer, dass das Kraftwerk nun abgeschaltet wird.

«Das Kernkraftwerk Mühleberg war nie sicherer als jetzt»

Auch der Elektrotechniker Guido Flury war dabei, als das Kraftwerk ans Netz ging. «Wir waren eine junge Mannschaft dort unten, und das war etwas komplett Neues für uns. Wenn ich zurückblicke, muss ich sagen: Das Kraftwerk ist heute – dank der vielen Nachrüstungen – sicherer als damals, als wir es als Greenhörner übernommen hatten.» Flury kam ursprünglich aus dem Solothurnischen. In Mühleberg begann er sich im Dorf zu engagieren. Zunächst in der Bewegung «Junges Mühleberg», später in der FDP. Die junge, internationale Mannschaft im Kernkraftwerk habe damals etwas Modernität ins Bauerndorf Mühleberg gebracht, sagt Flury heute.

«Ich stelle den Champagner erst kalt, wenn dort unten wieder grüne Wiese ist – also im Jahr 2035»

Die Heilpädagogin Annerös Marti ist eine entschiedene AKW-Gegnerin. Sie wuchs in Mühleberg auf, zog weg und entschied sich ausgerechnet 1986 – im Jahr der Katastrophe von Tschernobyl – in ihr Heimatdorf zurückzukehren. «Mühleberg ist super, um hier Kinder aufzuziehen.» Auch Marti engagierte sich politisch in der Gemeinde, in der SP. Die Ortspartei hielt sich bewusst aus dem Thema «AKW» heraus: «Bei diesem Thema konnten wir nur verlieren», sagt Marti. Auch sie verneint eine Spaltung der Dorfbevölkerung in AKW-Gegner und -Befürworter: «In der Regel lebt man hier gut miteinander und gegeneinander.» Öffentlich angefeindet worden sei sie nur ein einziges Mal, an einer Demonstration vor dem Kraftwerk.

Das Dorf und sein Kernkraftwerk: Eine fünfzigjährige Liaison geht zu Ende

Wenn das Kernkraftwerk Mühleberg vom Netz geht, dann geht eine rund fünfzigjährige gemeinsame Geschichte von Dorf und Kraftwerk zu Ende. Das Kraftwerk hat dem Dorf in dieser Zeit Arbeitsplätze und gute Steuererträge gebracht. Mühleberg war zeitweise die steuergünstigste Gemeinde im Kanton Bern. Kaderleute der Bernischen Kraftwerke wurden im Dorf ansässig und engagierten sich teilweise in der Politik. Das Dorf erlebte durch die Kraftwerksanstellten und ihre Familien eine Veränderung in der Bevölkerungszusammensetzung und einen gewissen Modernitätsschub. Neue Infrastruktur – namentlich im Schulbereich – wurde gebaut. Und nun ist man laut Gemeindepräsident René Maire bereit für den lokalen Ausstieg aus der Atomenergie. Was ist Mühleberg ohne das Kernkraftwerk? «Wir haben einige Gewerbe- und Dienstleistungsbetriebe hier, wir haben landwirtschaftliche Betriebe. Und wir haben eine sehr schöne Landschaft hier, ein tolles Naherholungsgebiet.»

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