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Tristan Brenn Twitter & Co: Wie weit dürfen wir mit unseren Äusserungen gehen?

Auch das gehört zu den Aufgaben eines Chefredaktors: sich mit den Aktivitäten seiner Journalistinnen und Journalisten in den sozialen Medien auseinandersetzen. Vor allem, wenn sie hohe Wellen schlagen. Also: Was geht? Wo liegen die Grenzen? Hier nimmt Tristan Brenn, Chefredaktor TV, Stellung.

Kein Sommer ohne Sommertheater. Das gilt nach wie vor und vor allem für die Medien, die trotz Nachrichtenflaute ihre Blätter, Sendungen und Webseiten füllen müssen und darum Debatten anstossen, die sonst keine sind. Ein Hauch von Sommertheater war die öffentlich diskutierte Frage, ob Arthur Honegger als «10vor10»-Moderator noch tragbar sei, weil er sich via Twitter mit pointierten Meinungen zum Auftritt von Donald Trump in Helsinki geäussert hat.

Um es vorwegzunehmen: Arthur Honegger ist nach wie vor tragbar, und wir freuen uns auf viele weitere Sendungen mit ihm. Die Frage, wie frei wir uns als Journalistinnen und Journalisten in den sozialen Medien äussern dürfen, und ob «privat» ist, was wir dort tun und lassen, verdient indes eine genauere Betrachtung.

Das Radio- und Fernsehgesetz verlangt, dass wir in unseren Programmen sachgerecht und unvoreingenommen berichten. Bei Verstössen wird SRF durch den Ombudsmann oder die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) zur Rechenschaft gezogen. Bei individuellen Äusserungen auf Twitter und Facebook ist die Sache etwas komplizierter. Grundsätzlich gilt: Wer einen persönlichen Account unterhält, darf sich – im Rahmen der Rechtsordnung – frei äussern, wie das in unserem Rechtsstaat für alle Menschen in diesem Land gilt. Ob Moderatorin, Korrespondent oder Redaktorin: Jede und jeder darf seine persönliche Meinung kundtun. Und doch heisst das nicht, dass alles erlaubt ist.

Wenn wir uns in unseren Profilen als Programmschaffende von SRF bezeichnen oder so wahrgenommen werden und unsere Tweets einen klaren Bezug zu unserer publizistischen Arbeit haben, so könnten theoretisch auch hier programmrechtliche Einschränkungen wirksam werden. Denn der UBI obliegt auch die Aufsicht über das Onlineangebot von SRF und damit auch über dessen Aktivitäten bei Facebook, Twitter et cetera. Beteuerungen von aktiven Twitterern, man sei «hier privat unterwegs», mögen gut gemeint sein, laufen aber ins Leere.

Ohnehin geht es nicht nur um rechtliche Erwägungen und Grauzonen. Genauso wichtig sind unsere beruflichen Standards, unser Selbstverständnis als Mitarbeitende eines öffentlichen Medienhauses, unsere publizistischen Werte. Und hier wird die Sache noch einmal kompliziert.

Als Journalisten stellen wir Öffentlichkeit her. Dadurch werden wir selber zu öffentlichen Personen. Unsere persönlichen Meinungen lassen sich deshalb nie ganz von der öffentlichen Funktion, die wir als Informationsvermittler haben, trennen. Das heisst aber, dass unsere Glaubwürdigkeit als unabhängige Informationsvermittler auch von unseren Äusserungen in den sozialen Medien abhängt. Unbedachte parteiische Bemerkungen, geschweige denn falsche, unsachgerechte Aussagen, beeinträchtigen unsere Glaubwürdigkeit. Sie sind weder im Interesse der einzelnen Journalisten noch im Interesse von SRF und sind zu unterlassen.

Doch auch in Fällen, wo Meinungsäusserungen nicht offensichtlich gegen journalistische Standards oder den guten Geschmack verstossen, stellt sich die Frage, wie sinnvoll und clever es für Journalistinnen und Journalisten ist, wenn sie ihr Recht auf Meinungsäusserungsfreiheit im Netz voll ausschöpfen. Auf Twitter meinte der Politologe Sandro Lüscher, ein News-Journalist geniesse eine gewisse Integrität, «die er durch exzessive Meinungsäusserungen verliert». Journalisten seien «Priester der Öffentlichkeit – sie fügen sich einem Meinungszölibat». Hat dieser Twitterer recht?

Auch diese Position ist zu radikal, weil sie keinen Unterschied macht zwischen Meinungsäusserungen, die parteiisch sind, und solchen, bei denen eine journalistische Haltung zum Ausdruck kommt. Ein SRF-Journalist, der sich in den sozialen Medien für eine bestimmte Partei oder eine Sachvorlage stark macht, kompromittiert sich zwangsläufig als unvoreingenommener Nachrichtenvermittler. Auch wenn er sachgerecht und journalistisch korrekt zu moderieren und berichten vermag, gerät er in den Sog einer Anscheinsproblematik, die sich nachteilig auswirkt.

Ganz anders, wenn er in seinen Äusserungen Haltung zeigt, zum Beispiel in Bezug auf demokratische Werte wie der Meinungs- und Pressefreiheit, der Menschenrechte oder der Gewaltenteilung. Oder wenn er sich stark macht für einen Diskurs, der sich um Wahrheit bemüht und von Respekt geprägt ist. Spätestens hier sind wir wieder bei Donald Trump, der erst kürzlich wieder die freie Presse als «Feinde des Volkes» bezeichnete.

Ist es parteiisch, wenn eine Journalistin diese gefährliche Umkehrung und Diskreditierung eines zentralen Pfeilers der liberalen Demokratie als unangemessen und schädlich bezeichnet? Natürlich nicht. Auch wer Lügen aus dem Munde eines Politikers Lügen nennt, ist nicht parteiisch, sondern folgt seinem Berufsethos und macht klar, dass Journalismus auch mit Werten und Überzeugungen zu tun hat. Das sollen und dürfen auch Journalistinnen und Journalisten von SRF zum Ausdruck bringen.

Drastisch formulierte es anlässlich des Trump-Besuches in Helsinki Sascha Lobo, Kolumnist bei «Spiegel Online»: «Meine Wahrnehmung ist: Trump erbricht sich und das Gros der Berichterstattung tut, als könne man das Ergebnis in Form einer Restaurantkritik besprechen.» Stattdessen müssten, so Lobo, «Journalisten heute qua Beruf auch Streiter für eine liberale Demokratie» sein.

Sascha Lobo hat recht, denn was zunächst nach Parteinahme klingt, macht bei tieferer Betrachtung durchaus Sinn, weil es um die Existenz von Journalismus an sich geht. Weil dieser seine Kontrollfunktion für Politik und Gesellschaft eben nur in einer liberalen Demokratie ausüben kann, «wo Pluralismus ein Wert für sich ist». Und andere Meinungen nicht von vornherein als «fake» diskreditiert werden.

Weit häufiger noch als um Haltungsfragen geht es im sozialmedialen Alltag um pointierte politische Analysen und Einordnungen, die zu Kontroversen führen und zur Frage, wie weit Journalistinnen und Journalisten von SRF gehen dürfen. Streng genommen ging es auch beim Sommertheater um Arthur Honegger darum. Sein umstrittener Tweet war dieser:

Hat sich hier unser Moderator zu weit aus dem Fenster gelehnt, insbesondere mit dem letzten Satz? Fraglos ist dieser pointiert, und da ist auch ein Schuss Provokation drin. Entscheidend ist jedoch seine Herleitung, die auf knappstem Raum den Dissens zwischen der US-Regierung und dem Präsidenten auf den Punkt bringt, nicht polemisch, sondern profiliert, formuliert von einem politischen Beobachter, der mehrere Jahre unser Korrespondent in den USA war und über eine ausgewiesene Fachkompetenz und Glaubwürdigkeit verfügt.

Nicht alle müssen einverstanden sein mit dieser Twitter-Kurzanalyse. Und natürlich kann man sich streiten über ihre Schlussfolgerungen. Doch genau dafür sind die sozialen Medien da, für einen unmittelbaren Austausch auf Augenhöhe, für den Dialog mit Publikum und Usern, den Arthur Honegger und viele andere bei SRF mit viel Engagement aufnehmen und pflegen.

Während wir in unseren Programmen häufig und zwangsläufig Einwegkommunikation ohne unmittelbare Reaktionsmöglichkeiten für das Publikum betreiben, tragen wir so zu einer lebendigen öffentlichen Diskussionskultur bei. Das ist Service public im digitalen Zeitalter.

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