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Die Narben des Krieges sind in Bosnien – wie hier in Sarajevo – noch immer sichtbar und politisch spürbar.
zvg Walter Müller
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20 Jahre «Frieden» - Bosnien bleibt gespalten

Am 21. November 1995 beendete das auf US-Druck ausgehandelte Friedensabkommen den Bürgerkrieg in der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina. Das Sterben hatte ein Ende, doch der Preis für den Frieden ist hoch.

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Die durch den Bürgerkrieg geschaffenen, ethnisch definierten und teilautonomen Landesteile arbeiten kaum zusammen, die Korruption blüht mehr als zuvor, die Wirtschaft ist am Boden und die Jugend sieht keine Zukunft. Ohne internationale Hilfe wäre der tief gespaltene Staat schon lange gescheitert.

Im Februar vor einem Jahr gingen in Bosnien Zehntausende auf die Strasse, militante Vermummte setzten gar Gebäude der Regionalregierungen in Brand – unter dem Applaus der Menge. Die Demonstranten verlangten eine «politische Revolution»: Tiefere Löhne für die Politikerkaste, die Rücknahme der «kriminellen Privatisierungen» oder die Entsendung von Experten statt von Parteigünstlingen an die Schaltstellen der Macht. Die Proteste waren Ausdruck der Wut über eine vielfach korrupte Politikerkaste und Ausdruck der eigenen wirtschaftlichen Misere. Ein Fünftel der knapp 4 Millionen Bosnier lebt in Armut, viele leiden Hunger, die Arbeitslosigkeit beträgt 45%, bei den Jugendlichen ist sie gar noch höher.


Doch der Weckruf der Verzweifelten wurde nicht gehört. Im Herbst vor einem Jahr wählten die Bosnierinnen und Bosnier praktisch die gleichen Politiker wieder in Amt und Würden. Die Bürgerkomitees, die die Proteste im Frühling organisiert haben, sind verschwunden. Die Hoffnung scheint der Frustration gewichen. Statt den Staat zu reformieren, verbissen sich die muslimischen, serbischen und kroatischen Politiker Bosniens wieder in ihre Grabenkämpfe um Kriegsschuld, Korruptionsvorwürfe und eigene materielle Vorteile.


Jetzt unternimmt die EU, die das Gedeihen des Landes zusammen mit dem sogenannt «Hohen Repräsentanten der Staatengemeinschaft» überwacht, einen neuen Anlauf, dem Leerlauf der bosnischen Politik ein Ende zu bereiten – zu gross ist die Angst vor einem gescheiterten Staat an der Grenze zur Union und weiteren Flüchtlingsbewegungen. Die EU stellt Bosnien weitere Hilfen und den Beitritt zur Union in Aussicht, im Gegenzug musste sich das bosnische Parlament zu institutionellen und wirtschaftlichen Reformen bekennen. Doch das taten die Parlamentarier schon mehrmals, ohne dass sich etwas änderte. Und es sind die gleichen Politiker, die die von der EU verlangte Politik während Jahren nicht umsetzten.

Der vielbeschworene Neuanfang in Bosnien-Herzegowina steht erst auf dem Papier. Das Land ist vorerst dank erneuter europäischer Finanzhilfe vor dem Kollaps bewahrt, doch es gibt Zweifel, ob etwa die institutionellen Reformen dereinst umgesetzt werden. Schliesslich gibt es in Bosnien hunderte von einträglichen politischen Ämtern und tausende von Stellen in der aufgeblähten Verwaltung, das verschafft Einkommen und Einfluss. Zwar verschlingt dieser Apparat die Hälfte des Staatsbudgets, doch damit können die ethnisch-nationalen Parteien, die das Land im Griff haben, ihre Klientel zufrieden stellen. Und für diese einflussreichen Kreise ist die Spaltung des Landes lukrativ – wenig Grund also, etwas zu ändern.

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